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01.06.2011 Fachinformation

VDE-Studie Stromübertragung für den Klimaschutz

Potenziale und Perspektiven einer Kombination von Infrastukturen

Aus Klimaschutzgründen sollen CO2-intensive fossile Energieträger in Deutschland und Europa abgelöst werden. Das Energiekonzept der Bundesregierung sieht hierzu eine signifikante Steigerung der Ressourcen- und Energieeffizienz vor bei gleichzeitig verstärkter Nutzung erneuerbarer Energien, insbesondere mittels Offshore-Windkraftparks.

Die Umsetzung dieser Zielstellungen wird in erheblichem Maße beeinflusst durch die Netzin­frastruktur im Transport- und Verteilungsbereich für elektrische Energie. Die Umsetzung ökologisch und technisch erforderlicher Leitungsbauprojekte ist damit unverzichtbare Voraussetzung, um den gewünschten Erfolg zur Nutzung erneuerbarer Energien sicherzustellen.

Im Rahmen der Task Force „Infrastruktur“ hat die Energietechnische Gesellschaft (ETG) im Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) neue Lösungswege erarbeitet, um diese Ziele umzusetzen. Hierzu kommt erstmals der Grundgedanke einer physischen Integration der Höchstspannungsnetze in Deutschland und Europa in verschiedene vorhandene und zukünftige Infrastrukturen zum Tragen.

Die Umsetzung dieser Aufgabe ist verbunden mit einer Optimierung und Beschleunigung der Genehmigungsprozesse im Rahmen der Raumordnung und Planfeststellung sowie der Entwicklung von Konzepten zum Ausbau der Netzstruktur. Ziel ist die Identifizierung Erfolg versprechender, gestuft zu realisierender, „mikroinvasiver“ Anpassungs- und Ergänzungsmaßnahmen im Bereich des 400-kV-Transportnetzes. Darüber hinaus ist für Deutschland ein die vier Regelzonen übergreifendes Overlay-Netz zur Verbindung der Erzeugungs- und Lastzentren für den Weitstreckentransport von Strom zu entwickeln.

Die Ergebnisse der Arbeiten zeigen, dass sich bestehende Infrastrukturen wie Eisenbahn- und Autobahntrassen, Wasserstraßen und bestehende Freileitungstrassen für die Integration von Stromübertragungssystemen nutzen lassen. Eine Bewertung zeigt für Autobahnsysteme die meisten Pluspunkte, alle Infrastrukturen weisen aber spezifische Vorteile auf.

Neben der Nutzung bestehender Freileitungstrassen der Bahn oder anderer Übertragungsnetz- und Verteilnetzbetreiber, ist für die Integration von Stromversorgungssystemen die Nutzung unterirdischer Verlegetechniken in Betracht zu ziehen. Bei Beschränkung auf unterirdische Verlegetechniken wäre unter Kostengründen die Erdverlegung von Kabeln zu favorisieren. Unter dem Gesichtspunkt einer hohen Leistung von Stromtrassen, einer langfristigen Planung, Anforderungen an die Flexibilität, Leistungsertüchtigung, Wartung sowie Reparaturmöglichkeiten sollte der Fokus eher bei Tunnellösungen liegen. Für die Umsetzung entsprechender Tunnelsysteme empfehlen sich aus Kosten- und Zeitgründen offene Bauverfahren. Bei Kreuzungen mit anderen Infrastrukturen könnten aber auch geschlossene Tunnelbauweisen (Tunnelvortriebsverfahren) zum Einsatz kommen.

Tunnelsysteme könnten längerfristig die Basis für eine flexible und innovative Vorgehensweise sein. Die hiermit verbundene Zugänglichkeit bietet die Voraussetzung, dass sich bestehende Kabelverbindungen jederzeit reparieren und ertüchtigen lassen. In Verbindung mit geeigneten Herstellungsverfahren sowie innovativen Transportsystemen im Tunnel ist der Einsatz von „Endloskabeln“ denkbar, so dass sonst benötigte Muffen zum großen Teil entfallen können. Verbunden sind hiermit auch eine deutlich erhöhte Verfügbarkeit der Kabelsysteme sowie Einsparungen bei den Herstellungs- und Installationskosten. Für die Zukunft bietet der Tunnel zusätzlich die Option, neuere Technologien, wie z. B. Supraleiter, einsetzen zu können, ohne dass die Entwicklung einer neuen Trasse erforderlich wird. Der Tunnel stellt damit die Basis für Innovationen im Übertragungsnetzbereich dar.

Eine quantitative Bewertung im Rahmen der Arbeit bestätigt die wirtschaftlichen Vorteile von konventionellen AC-Freileitungssystemen. Erdverlegte gasisolierte Leitungen (GIL) können jedoch dann interessant sein, wenn von Beginn an eine hohe Auslastung der Systeme erwartet wird. Die Bewertung zeigt aber auch, dass DC-Kabelsysteme in Verbindung mit Tunneln langfristig als eine wirtschaftlich interessante Option zu betrachten sind. Als Freileitungssystem sind DC-Verbindungen ebenfalls als Alternative zu berücksichtigen.

Ein Overlay-Netz, z. B. als Ringkonzept mit leistungsstarken Trassen vom Norden nach Süden realisiert, bietet die Chance für einen großräumigen Energieaustausch, ohne die unterlagerten Netzteile übermäßig zu belasten. Die Netzausbauten an den Einspeisepunkten aus dem Overlay-Netz ins konventionelle Netz sind jedoch zu berücksichtigen.

Eine entsprechende Stromübertragungsstruktur hätte Vorteile für alle Wirtschaftsbereiche. Durch den leistungsstarken Energietransport kommt es zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage bei gleichzeitig erhöhter Systemstabilität des Verbundnetzes, verringertem Speicherungsbedarf, Vorteilen durch die Optimierung von Investitionen und Folgekosten, Effizienz- und Beschäftigungseffekten sowie umweltpolitischen Vorteilen. Für Europa könnte eine entsprechende Struktur richtungsweisend sein.

Für die Umsetzung und Finanzierung des Overlay-Netzes bietet sich als Variante ein gemischt staatlich, privates Engagement an. Die Umsetzung im Rahmen einer „Private Public Partnership“ (PPP) mit dem Staat als Eigentümer der anderen Infrastrukturen bietet hierbei den Vorteil eines leichteren Zugriffs auf die benötigten Einrichtungen. Ein aufwendiger Abstimmungsprozess kann entfallen. Gleichzeitig ist die Voraussetzung für eine günstigere Finanzierung gegeben.

Die Realisierung könnte in gestufter Vorgehensweise erfolgen. Zur Ertüchtigung des bestehenden Übertragungsnetzes empfehlen sich vorrangig Freileitungen, soweit genehmigungsfähig. Für den erweiterten Ausbau ist in der ersten Phase eine Grundsatzentscheidung über Leistungsgröße (z.B. 6 GW/System), Übertragungsspannung (z.B. 800 kV) und technologische Lösung ‑ AC oder DC, Freileitung, Kabel oder GIL – zu treffen. Unabhängig, ob GIL oder Kabel, ist in beiden Fällen die Verlegung der Systeme direkt in der Erde oder im Tunnel möglich. Bei einer Entscheidung zu Gunsten von tunnelverlegten DC-Kabeln könnte mit der derzeit verfügbaren Spannungsebene von +/- 320 kV begonnen und die Trasse zu einem späteren Zeitpunkt mit einer leistungsstärkeren Kabeltechnologie (z.B. +/-500 kV) durch Austausch der Kabel ertüchtigt werden. Ggf. ist auch der Umstieg auf eine dann verfügbare bessere Technologie, wie z.B. Supraleitung, möglich.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Ausbau der Netze entscheidend für die Integration erneuerbarer Energien ist. Hiermit verbunden ist gleichzeitig eine Reduktion des Energiespeicherungsbedarfs. Die Energieübertragung ist hierbei als gesamtstaatliche Aufgabe zu betrachten. Indem die Trassen des Bundes und der Länder in den Ausbau des Übertragungsnetzes einbezogen werden, kann sich die Akzeptanz für neue Stromversorgungssysteme verbessern. Tunnelbasierte Lösungen könnten hierbei die Basis für innovative Lösungen darstellen sowie die Basis zur Hebung von Kostensenkungspotenzialen. Die heute bestehenden wirtschaftlichen Nachteile von Kabellösungen lassen sich so reduzieren. Hieraus entstehen gleichzeitig Chancen für Innovationen mit der Basis für eine Technologieführerschaft im Übertragungsnetzbereich. Der Aufbau eines Overlay-Netzes stellt einen Impuls für einen großflächigen europaweiten Netzausbau dar; mehr Effizienz aber auch Beschäftigungseffekte werden die Folge sein.

Handlungsbedarf

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Vorgehensweise

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Kombination von Infrastrukturen mit elektrischen Energieversorgungssystemen technisch, ökonomisch und ökologisch realisierbar ist. Die betrachteten vielfältigen Möglichkeiten, die sich aus der Kombination von Eisenbahntrassen, Bundesfernstraßen, Pipelinesystemen, Flüssen, Kanälen und Freileitungstrassen ergeben, können bei unterschiedlichen Umgebungs- und Landschaftsbedingungen entsprechend ihren speziellen Vorteilen ausgewählt werden. Dabei ist von einer Mischung der Kombinationen entlang einer Fernübertragungsstrecke auszugehen.

Alle betrachteten elektrischen Technologien und deren Übertragungseigenschaften für elektrische Energie sind heute schon verfügbar und können umgehend eingesetzt werden. Die technologische Entwicklung wird in den einzelnen Übertragungstechnologien fortschreiten und zum einen zu höheren Übertragungsspannungen und –leistungen führen. Zum anderen ist auch von einer Reduzierung der Kosten durch die technologische Entwicklung auszugehen.

Die Grenzen dieser Untersuchungen sind vor allem durch die Allgemeinheit der Betrachtungen vorgegeben. Ziel der Untersuchung war eine möglichst lösungsoffene Beschreibung der Möglichkeiten ausgehend vom heutigen Standard.

In einem nächsten Schritt wären die Handlungsschritte wie folgt anzusetzen:

1. Abstimmung mit Ministerien und Ländern zur Modifizierung der Genehmigungsverfahren für Projekte von bundesweitem Interesse.
2. Analyse geeigneter Bahntrassen zusammen mit der Deutschen Bahn AG.
3. Identifizierung einer oder mehrerer Übertragungsstrecken in Deutschland, z.B. von der Nordsee zum Ruhrgebiet.
4. Erstellen einer Machbarkeitsstudie für diese Übertragungstrecke einschließlich der Kostenermittlung.
5. Entwicklung eines Overlay-Netzes für ganz Deutschland unter Berücksichtigung der Nachbarländer.
6. Identifizierung und Bau einer Pilotstecke als erstes Teilstück des Overlay-Netzes.
7. Definition von Entwicklungsaktivitäten.