Darstellung eines Prozesses
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04.11.2021 Fachinformation

Qualitätsmanagementsystem für Medizinprodukte: Was brauche ich wirklich?

Das Qualitätsmanagementsystem (QMS) bei Medizinprodukten sorgt dafür, dass die Produkte eines Herstellers nach einem festen Ablauf entwickelt, hergestellt und auf dem Markt überwacht werden.

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Dr. Thorsten Prinz

Das Qualitätsmanagementsystem (QMS) bei Medizinprodukten sorgt dafür, dass die Produkte eines Herstellers nach einem festen Ablauf entwickelt, hergestellt und auf dem Markt überwacht werden. Ziel ist es, dass die Produkte innerhalb ihrer Lebensdauer sicher und leistungsfähig sind sowie ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis vorweisen. Dazu werden Prozesse im Unternehmen etabliert, die Schritt-für-Schritt vorgeben, was von wem zu tun ist. Weiterhin beinhaltet das QMS mitgeltende Dokumente für die jeweiligen Prozesse, z. B. Vorlagen und Arbeitsanweisungen, welche die Details regeln. Das ist soweit sicher für alle nachvollziehbar, aber was genau schreibt der gesetzliche Rahmen für Medizinprodukte in Hinsicht auf das QMS tatsächlich vor?

Ein Blick zurück: Qualitätsmanagement unter der EG-Richtlinie über Medizinprodukte (MDD) und dem Medizinproduktegesetz (MPG)

Nehmen wir einmal an, dass ein Start-up eine Software unter dem alten Rechtsrahmen MDD/MPG als Medizinprodukt der Risikoklasse I in Verkehr gebracht hat. In den Texten von MDD/MPG finden wir zwar eine Reihe von Anforderungen, die der Hersteller erfüllen muss, aber eine Verpflichtung zu Errichtung und Weiterentwicklung eines QMS suchen wir vergebens. Muss das Start-up in unserem Beispiel folglich kein QMS haben? Nein, das stimmt so nicht.

Um die Konformität seines Produktes mit den gesetzlichen Anforderungen herstellen zu können, wendet das Start-up eine Reihe von Normen und Guidelines an, z.B.:

Mit Ausnahme der EN 82304-1 beschreiben diese Normen keine konkreten Produktanforderungen, sondern setzen ihre Inhalte in Form von Prozessen um. Auch die Guideline MEDDEV 2.7/1 fordert mit dem Satz „Clinical evaluation is conducted throughout the life cycle of a medical device, as an ongoing process” einen Prozess-orientierten Ansatz. Deshalb hat das Start-up die entsprechenden Normenanforderungen sowie weitere gesetzliche Anforderungen (klinische Bewertung, Überwachung nach dem Inverkehrbringen und Vigilanz etc.) im Rahmen eines “Basis-QMS” mit Prozessen umgesetzt, wie in der folgenden Abbildung bespielhaft dargestellt ist.

Beispiel-Prozessliste-Software-Start-Ups
VDE

Die aktuelle Situation: Qualitätsmanagement unter der EU-Verordnung über Medizinprodukte (MDR)

Das Start-up aus unserem Beispiel nutzt den Übergangszeitraum, um sein Produkt nach dem neuen europäischen Gesetzesrahmen MDR als Risikoklasse-IIa-Medizinprodukt in Verkehr zu bringen. Dazu führt es zunächst eine Gap-Analyse durch, um herauszufinden, welche neuen gesetzlichen Anforderungen es umsetzen muss. Hier fällt insbesondere der Art. 10 „Allgemeine Pflichten der Hersteller“ aus der MDR ins Auge. Im Satz 3 heißt es:

Die Hersteller von Produkten, bei denen es sich nicht um Prüfprodukte handelt, müssen ein Qualitätsmanagementsystem einrichten, dokumentieren, anwenden, aufrechterhalten, ständig aktualisieren und kontinuierlich verbessern, das die Einhaltung dieser Verordnung auf die wirksamste Weise sowie einer der Risikoklasse und der Art des Produkts angemessenen Weise gewährleistet“ (Art. 10 Verordnung (EU) 2017/745).

Folglich muss jeder Hersteller unabhängig von der Risikoklasse seines Medizinproduktes ein QMS errichten und weiterentwickeln. In den weiteren Abschnitten a) bis m) des Art. 10 (9) werden dezidiert die Mindestanforderungen für ein QMS festgelegt. Das hat es in dieser Form vorher nicht gegeben. Schnell wird dem Qualitätsmanagementbeauftragten (QMB) von unserem Start-up klar, dass eine ganze Reihe neuer Prozesse inkl. der jeweiligen mitgeltenden Unterlagen etabliert werden müssen. Diese haben wir beispielhaft in der obigen Abbildung mit „MDR“ markiert. Häufig ist bei den recht kurz formulierten Anforderungen im Art. 10 (9) wie zum Beispiel unter c) „die Verantwortlichkeit der Leitung“ nicht klar, was sich genau dahinter verbirgt und wie die Umsetzung zu erfolgen hat. Damit beschäftigen wir uns detaillierter im nächsten Absatz.

Noch ein Hinweis: Je nach Konformitätsbewertungsverfahren, das der Hersteller für sein Produkt auswählt (Details erläutert unser Beitrag „Konformitätsbewertungsverfahren“), werden die Anforderungen an das QMS in den einschlägigen Anhängen der MDR noch weiter konkretisiert. Auch die restlichen Abschnitte des Art. 10 enthalten QMS-relevante Vorgaben, in dem sie genauere Verweise zu den entsprechenden Stellen in der MDR enthalten, beispielsweise zum Unique Device Identifier (UDI). Es empfiehlt sich daher, eine komplette Anforderungsliste zum QMS zu erstellen und diese Punkt-für-Punkt abzuarbeiten!

EN ISO 13485 als Qualitätsmanagement-Norm

Die einschlägige Norm EN ISO 13485 beschreibt die QMS-Anforderungen für Medizinprodukte. Bevor wir die Einzelheiten betrachten, wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, ob eine Zertifizierung des QMS nach EN ISO 13485 verpflichtend ist? Nein, das ist sie nicht. Nirgendwo in der MDR findet sich eine derartige Verpflichtung. Aber mit den neuen Anforderungen bzgl. eines QMS in Art. 10 (9) werden implizit viele Inhalte aus der Teile EN ISO 13485 gefordert. Schauen wir uns deshalb die Kapitelstruktur der EN ISO 13485, die dem bekannten Plan-Do-Check-Act-Zyklus (PDCA-Zyklus) folgt, in der folgenden Abbildung an.

Hauptkapitel der EN ISO 13485 im PDCA-Zyklus
VDE

Kehren wir nun zu unserem Beispiel aus Art. 10 (9c) „die Verantwortlichkeit der Leitung“ zurück. Wie kann uns hier die EN ISO 13485 helfen? Im Kapitel 6 „Verantwortung der Leitung“ werden die Pflichten der Organisationsleitung (bspw. die Geschäftsführung im Unternehmen) näher beschrieben:

  1. die Ermittlung und Erfüllung der Kundenanforderungen sowie der anwendbaren regulatorischen Anforderungen,
  2. die Festlegung und Umsetzung der Qualitätspolitik und der Qualitätsziele,
  3. die Durchführung von Managementbewertungen sowie
  4. die Sicherstellung der Verfügbarkeit von Ressourcen

Einer der notwendigen Prozesse ist bereits vorhanden, nämlich das Personalmanagement (→ Anforderung 4). Um die Lücken im QMS zu füllen, erstellt der QMB zusammen mit den Mitarbeiter*innen des Start-ups die folgenden zusätzlichen Prozesse:

  • Verantwortlichkeit der Leitung (→ Anforderungen 1-4)
  • Regulatorische Strategie (→ Anforderung 1)
  • Infrastruktur (→ Anforderung 4)

Wann macht aber nun die Zertifizierung des QMS nach EN ISO 13485 Sinn? Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Konformitätsbewertung gemäß Anhang IX auf der Grundlage eines QMS und der technischen Dokumentation erfolgen soll. Denn der Anhang IX sieht gewissermaßen ein “umfassendes” QMS vor. Weiterhin wird ein zertifiziertes QMS nach EN ISO 13485 auch in anderen Wirtschaftsräumen außerhalb der EU anerkannt. Nicht zuletzt kann auch der Kunde des Herstellers eine Zertifizierung des QMS nach EN ISO 13485 in seinen Lieferantenbedingungen fordern.

Übereinstimmungen zwischen EN ISO 13485 und MDR

Abschließend muss noch die Frage geklärt werden, ob unser Start-up mit einem zertifizierten QMS nach EN ISO 13485 alle Anforderungen der MDR erfüllen würde?

Leider ist das nicht der Fall, wie wir der kürzlich veröffentlichten Änderung A11 der Norm entnehmen können. Diese Änderung umfasst zwei neue Anhänge:

  • Anhang ZA “Zusammenhang zwischen dieser Europäischen Norm und den Anforderungen der abzudeckenden Verordnung (EU) 2017/745”
  • Anhang ZB “Zusammenhang zwischen dieser Europäischen Norm und den Anforderungen der abzudeckenden Verordnung (EU) 2017/746”

In den Z-Änhängen werden alle Einzelanforderungen zum Qualitätsmanagement aus dem jeweiligen Art. 10 und den Anhängen mit Konformitätsbewertungsverfahren in den EU-Verordnungen MDR und IVDR den Inhalten der EN ISO 13485 zugeordnet. Dabei ergibt sich, dass die Norm in einigen Fällen nur teilweise oder gar nicht die Anforderungen der MDR oder IVDR abdeckt. Wie kann das sein? Nun, die Grundlage für die europäische Norm ist die internationale Version der ISO 13485 und diese wurde erarbeitet, um weltweit einen Standard für ein Medizinprodukte-QMS zu schaffen. Deshalb können verschiedene Anforderungen in der Norm auch nicht zu detailliert sein. Ein Beispiel ist die Anforderungen zur Anwendung eines Konformitätsbewertungsverfahrens sowie zur Erstellung der EU-Konformitätserklärung in Art. 10 (6), die nicht durch die EN ISO 13485 abgedeckt sind.

Unser Tipp: Überführen Sie den jeweiligen Z-Anhang in eine Checkliste und überprüfen Sie damit, ob die Prozesse und Vorlagen aus Ihrem QMS die MDR-Einzelanforderungen erfüllen!

Ständige Überwachung und Verbesserung

Unser Start-up hat die Transition zur MDR geschafft, aber die Arbeit mit dem QMS hört deshalb nicht auf. In der Marktphase muss sich das QMS beweisen. Dazu werden regelmäßig Prozessmessungen durch die Prozessverantwortlichen durchgeführt. Eine Prozessmessung dient der Beurteilung, ob sich der Prozess wie geplant verhält und die gewünschten Ergebnisse erzeugt. Bei einem Produktionsprozess kann zum Beispiel der Ausschuss pro Los gemessen werden. Oder bei der Managementbewertung kann erhoben werden, ob diese wie vorgesehen mindestens 1x jährlich durchgeführt wird. Neben der Bestimmung spezifischer Messgrößen, kann die Überwachung der Prozesse auch durch interne Audits erfolgen. Beides dient dazu, Probleme mit Prozessen und Produkten zu erkennen und gegebenenfalls Verbesserungen anzustoßen. Auch äußere Einflüsse wie Erkenntnisse aus der Überwachung des Produktes nach dem Inverkehrbringen oder neue regulatorische Vorgaben können die Änderungen an Prozessen auslösen. Details dazu finden Sie in unserem Beitrag „Post-Market Surveillance unter der MDR: Prozesse geschickt miteinander verknüpfen“.

Zusammenfassung

Wir haben gesehen, dass mit der MDR erstmalig in Europa ein QMS für alle Hersteller von Medizinprodukten verpflichtend ist und der Gesetzestext konkrete Angaben dazu macht, was das QMS genau beinhalten soll. Die EN ISO 13485 erläutert in Detail, was unter den gesetzlichen Einzelanforderungen zu verstehen ist. Wir haben auch gelernt, dass man ganz genau hinsehen muss, um die Gesetzesanforderungen an das QMS zu erfüllen: der Teufel steckt im Detail!

Aus unserer Beratungspraxis geben wir Ihnen diese Empfehlungen:

  1. Plan: Legen Sie die Ziele des QMS und seiner Prozesse fest! Planen Sie die nötigen Ressourcen zur Umsetzung der Prozesse und der Qualitätspolitik! Identifizieren und bewältigen Sie Risiken und Chancen!
  2. Do: Setzen Sie um, was zuvor geplant wurde!
  3. Check: Überwachen und messen Sie Prozesseund das resultierende Produkt! Gleichen Sie die Ergebnisse mit der Planung ab! Berichten Sie über die erhaltenen Ergebnisse!
  4. Act: Ergreifen Sie bei Bedarf Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Leistung der Prozesse.

Wie bieten Ihnen im Rahmen unserer Beratung Unterstützung bei der Errichtung und Anwendung eines zugleich schlanken und effizienten QMS an! Kontaktieren Sie uns gerne, wenn Sie dazu mehr wissen wollen.

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15.08.2023

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