Kehren wir nun zu unserem Beispiel aus Art. 10 (9c) „die Verantwortlichkeit der Leitung“ zurück. Wie kann uns hier die EN ISO 13485 helfen? Im Kapitel 6 „Verantwortung der Leitung“ werden die Pflichten der Organisationsleitung (bspw. die Geschäftsführung im Unternehmen) näher beschrieben:
- die Ermittlung und Erfüllung der Kundenanforderungen sowie der anwendbaren regulatorischen Anforderungen,
- die Festlegung und Umsetzung der Qualitätspolitik und der Qualitätsziele,
- die Durchführung von Managementbewertungen sowie
- die Sicherstellung der Verfügbarkeit von Ressourcen
Einer der notwendigen Prozesse ist bereits vorhanden, nämlich das Personalmanagement (→ Anforderung 4). Um die Lücken im QMS zu füllen, erstellt der QMB zusammen mit den Mitarbeiter*innen des Start-ups die folgenden zusätzlichen Prozesse:
- Verantwortlichkeit der Leitung (→ Anforderungen 1-4)
- Regulatorische Strategie (→ Anforderung 1)
- Infrastruktur (→ Anforderung 4)
Wann macht aber nun die Zertifizierung des QMS nach EN ISO 13485 Sinn? Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Konformitätsbewertung gemäß Anhang IX auf der Grundlage eines QMS und der technischen Dokumentation erfolgen soll. Denn der Anhang IX sieht gewissermaßen ein “umfassendes” QMS vor. Weiterhin wird ein zertifiziertes QMS nach EN ISO 13485 auch in anderen Wirtschaftsräumen außerhalb der EU anerkannt. Nicht zuletzt kann auch der Kunde des Herstellers eine Zertifizierung des QMS nach EN ISO 13485 in seinen Lieferantenbedingungen fordern.
Übereinstimmungen zwischen EN ISO 13485 und MDR
Abschließend muss noch die Frage geklärt werden, ob unser Start-up mit einem zertifizierten QMS nach EN ISO 13485 alle Anforderungen der MDR erfüllen würde?
Leider ist das nicht der Fall, wie wir der kürzlich veröffentlichten Änderung A11 der Norm entnehmen können. Diese Änderung umfasst zwei neue Anhänge:
- Anhang ZA “Zusammenhang zwischen dieser Europäischen Norm und den Anforderungen der abzudeckenden Verordnung (EU) 2017/745”
- Anhang ZB “Zusammenhang zwischen dieser Europäischen Norm und den Anforderungen der abzudeckenden Verordnung (EU) 2017/746”
In den Z-Änhängen werden alle Einzelanforderungen zum Qualitätsmanagement aus dem jeweiligen Art. 10 und den Anhängen mit Konformitätsbewertungsverfahren in den EU-Verordnungen MDR und IVDR den Inhalten der EN ISO 13485 zugeordnet. Dabei ergibt sich, dass die Norm in einigen Fällen nur teilweise oder gar nicht die Anforderungen der MDR oder IVDR abdeckt. Wie kann das sein? Nun, die Grundlage für die europäische Norm ist die internationale Version der ISO 13485 und diese wurde erarbeitet, um weltweit einen Standard für ein Medizinprodukte-QMS zu schaffen. Deshalb können verschiedene Anforderungen in der Norm auch nicht zu detailliert sein. Ein Beispiel ist die Anforderungen zur Anwendung eines Konformitätsbewertungsverfahrens sowie zur Erstellung der EU-Konformitätserklärung in Art. 10 (6), die nicht durch die EN ISO 13485 abgedeckt sind.
Unser Tipp: Überführen Sie den jeweiligen Z-Anhang in eine Checkliste und überprüfen Sie damit, ob die Prozesse und Vorlagen aus Ihrem QMS die MDR-Einzelanforderungen erfüllen!
Ständige Überwachung und Verbesserung
Unser Start-up hat die Transition zur MDR geschafft, aber die Arbeit mit dem QMS hört deshalb nicht auf. In der Marktphase muss sich das QMS beweisen. Dazu werden regelmäßig Prozessmessungen durch die Prozessverantwortlichen durchgeführt. Eine Prozessmessung dient der Beurteilung, ob sich der Prozess wie geplant verhält und die gewünschten Ergebnisse erzeugt. Bei einem Produktionsprozess kann zum Beispiel der Ausschuss pro Los gemessen werden. Oder bei der Managementbewertung kann erhoben werden, ob diese wie vorgesehen mindestens 1x jährlich durchgeführt wird. Neben der Bestimmung spezifischer Messgrößen, kann die Überwachung der Prozesse auch durch interne Audits erfolgen. Beides dient dazu, Probleme mit Prozessen und Produkten zu erkennen und gegebenenfalls Verbesserungen anzustoßen. Auch äußere Einflüsse wie Erkenntnisse aus der Überwachung des Produktes nach dem Inverkehrbringen oder neue regulatorische Vorgaben können die Änderungen an Prozessen auslösen. Details dazu finden Sie in unserem Beitrag „Post-Market Surveillance unter der MDR: Prozesse geschickt miteinander verknüpfen“.
Zusammenfassung
Wir haben gesehen, dass mit der MDR erstmalig in Europa ein QMS für alle Hersteller von Medizinprodukten verpflichtend ist und der Gesetzestext konkrete Angaben dazu macht, was das QMS genau beinhalten soll. Die EN ISO 13485 erläutert in Detail, was unter den gesetzlichen Einzelanforderungen zu verstehen ist. Wir haben auch gelernt, dass man ganz genau hinsehen muss, um die Gesetzesanforderungen an das QMS zu erfüllen: der Teufel steckt im Detail!
Aus unserer Beratungspraxis geben wir Ihnen diese Empfehlungen:
- Plan: Legen Sie die Ziele des QMS und seiner Prozesse fest! Planen Sie die nötigen Ressourcen zur Umsetzung der Prozesse und der Qualitätspolitik! Identifizieren und bewältigen Sie Risiken und Chancen!
- Do: Setzen Sie um, was zuvor geplant wurde!
- Check: Überwachen und messen Sie Prozesseund das resultierende Produkt! Gleichen Sie die Ergebnisse mit der Planung ab! Berichten Sie über die erhaltenen Ergebnisse!
- Act: Ergreifen Sie bei Bedarf Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Leistung der Prozesse.
Wie bieten Ihnen im Rahmen unserer Beratung Unterstützung bei der Errichtung und Anwendung eines zugleich schlanken und effizienten QMS an! Kontaktieren Sie uns gerne, wenn Sie dazu mehr wissen wollen.