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01.07.2014 Mitgliederinformation

Geschichte der Schutztechnik

Primärauslöser als Vorläufer des Relais

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Bild 1: Ölkesselschalter mit Primärauslöser, BBC

Ende des 19. Jahrhunderts benutzte man in Starkstromanlagen – damals meist noch Gleichstromanlagen – zum Schutze der Generatoren, Leitungen, Motoren und anderer Verbraucher vor den thermischen Auswirkungen durch Überlast oder Kurzschlussströmen hauptsächlich Schmelzsicherungen, die aus Blei, Silber, Zinn oder dgl. hergestellt waren. Mit der Entwicklung der Ölkesselleistungsschalter suchte man nach einer Möglichkeit diese, wenn der Strom einen bestimmten Wert überschreitet, durch strommessende Einrichtungen, Auslöser oder Relais auszulösen. Bei dem Ausdruck „Relais“ dachte man allerdings eher an die im Postkutschenalter somit bezeichnete Station, in der die erschöpften Pferde durch frische, leistungsfähigere Pferde ersetzt wurden.

Die Entwicklung der unverzögert und verzögert wirkenden Überstrom-Schutzeinrichtungen erfolgt um 1900. Beim Primärauslöser (Bild 1) wird die Messwicklung direkt vom Primärstrom durchflossen und die Auslösung über Gestänge zum Leistungsschalter übertragen [1].

Messwandler

Der 1898 von Benischke,G. erfundene Stromwandler ermöglichte den Anschluss von Sekundärrelais, bei dem der Kurzschlussstrom aus der damals meist für 5 A ausgelegten Sekundärwicklung dem Schutzrelais zugeführt wurde. Im Jahre 1912 schlagen Rogowski und Steinhaus eine eisenlose Messwertwandlung vor. Diese Rogowski-Spule kam seinerzeit kaum zur Anwendung, da die Leistung für die damaligen Relais nicht ausreichte. Zur (unselektiven) Erdschlusserfassung wendet Schuckert 1903 die Spannungssummenschaltung an. Einen ersten Vorschlag der Summenstromschaltung zur Erdschlusserfassung macht Nicholson im Jahre 1908. Diese Schaltung geht später – eigentlich zu Unrecht – als Holmgreen-Schaltung ein und hat sich im Sprachgebrauch durchgesetzt.

Geburtsstunde des Schutzrelais

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Bild 2: Überstromrelais RA1, S&H, 1925

Man war zunächst daran interessiert mit den Auslösern die Kennlinie von Sicherungen nachzubilden. Es stellte sich allerdings bald heraus, dass bei in Reihe liegenden Schutzeinrichtungen Selektivitätsprobleme auftauchten. Für den Leitungsschutz verließ man den „Abhängige Maximal-Zeitschutz“, AMZ-Relais und ging zum „Unabhängigen Maximal-Zeitschutz“, UMZ-Relais, über.

Die Geburtsstunde des Selektivschutzes liegt noch im 19. Jahrhundert. Um 1899 benötigten die Niagara-Kraftwerke für ihr 11-kV-Netz einen selektiv arbeitenden Leitungsschutz. Durch den damaligen technischen Direktor Stillwell wurde dieser in wahrhaft genialer Weise geschaffen. Er verwendete die schon gebräuchlichen Elemente, wie Strom- und Zeitrelais und als Richtungsglied einen kleinen Ventilatormotor von GE, dessen Feld von der Spannung und der Anker vom Strom durchflossen wurde. Er schuf somit einen Rückstromschutz für die Doppelleitung. Dies gilt als Geburtsstunde des Selektivschutzes [2].

Um 1903 erfolgte die Produktion von Richtungsrelais, so genannte Induktionsrelais, die hauptsächlich dazu dienten, bei parallel betriebenen Generatoren den gestörten durch das Kriterium Energierichtungsumkehr abzuschalten.

Die Sekundärrelais benötigten zu ihrer eigenen Funktion und zur Betätigung des Hilfsauslösers (AUS-Spule) des (damals meist Ölkessel-)Schalters eine Hilfsenergie.
Diese wurde auch damals schon nach einem Patent von Henri Owen Tudor (L) aus dem Jahr 1886 aus einem Akkumulator bereitgestellt.

In unbedeutenden Anlagen wurde die Wandlerstromauslösung zur Betätigung des Relais und des Leistungsschalters benutzt. Interessant ist, dass bei den ersten Wandlerstromlösungen pro Phase zwei vollwertige Stromwandler eingesetzt wurden, von denen einer das Relais und der andere den Auslöser speiste.

Beim so genannten Cleveland-Schutz aus dem Jahr 1908 wurde der Wandlerstrom direkt zum Auslöser des Schaltschlosses geschickt und um eine verzögerte Auslösung zu erreichen, wurde parallel zum Auslöser eine Zeitsicherung geschaltet, die nach Abschmelzen dem Überstrom den Weg durch die Auslösespule freigab.

Aus Selektivitätsgründen machte sich die Einführung einer Zeitverzögerung erforderlich.
Die starre Zeiteinstellung wurde durch ein nachgeschaltetes getrenntes Zeitglied in Form eines Uhrhemm- oder Windflügelwerkes, Ölkolben, Lederbalg o.ä. erreicht, das im Störungsfall von einem Elektromagneten über eine durchgespannte Zugfeder mit konstanter Geschwindigkeit zum Ablaufen gebracht wurde (Bild 2).

Schon 1902 werden von allen größeren Firmen in Deutschland Schutzeinrichtungen gebaut.

Differenzialschutz

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Bild 3: Differentialschutz nach Merz und Price mit gegeneinander geschalteten Wandlern

Im Jahre 1903 schlagen die Engländer Merz und Price Längs-Stromvergleichsschutz vor (Bild 3). Sie gelten als Erfinder des Differenzialschutzes. Eine erste größere Anwendung erfolgte 1906 im 20-kV-Kabelnetz der Country of Durham Electrical Power Distribution Co. in Nordengland [3]. 1907 geht das Patent von Merz und Price in den Besitz von AEG über. Kurz darauf führt die AEG den Differenzialschutz in Deutschland, auf der Grube Heinitz bei Luisenthal (Saar) und beim EW Westfalen ein. Während im angelsächsischen Raum auch heute noch der Differenzialschutz als Standard-Leitungsschutz dient, fand er im deutsch sprachigen Raum seine Hauptanwendung bei Transformatoren und Generatoren.

1920 entwickelte W. Pfannkuch, AEG, einen Kabelschutz unter Benutzung von Hilfsadern am Umfang des Hauptleiters und erhält ein Jahr später sein Patent zum „Pfannkuch“-Schutz [2]. Im gleichen Jahr gibt M. Höchstädter den „Lypro-Kabelschutz“ zur Erfassung von zweipoligen Kurzschlüssen und Erdschlüssen an. Diese Spaltleitersysteme erregten zunächst großes Aufsehen, mussten aber nach einigen Jahren dem vielseitigeren Distanzrelais weichen.

Der entfernungsabhängige Spannungsabfall-Schutz

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Bild 4: Grundsätzliche Anordnung des Distanzschutzes nach Chr. Krämer, F&G

1904 erhält Chr. Krämer, F&G, das Patent „Relais zur selbständigen Ausschaltung eines Wechselstrom“, bei dem mit einer Ferrarisscheibe als Verzögerungsglied der Spannungsabfallrelais als selektiver Kurzschlussschutz genutzt wird. Es wird das Prinzip des Distanzschutzes in groben Zügen angegeben und gilt als Erfindung des Distanzschutzes.

1919 setzte J. Biermanns, AEG, AMZ-Schutz als Leitungsstaffelschutz ein. Dieser hatte aber den Nachteil, dass die Auslösezeiten stark mit dem Generatoreneinsatz schwankten. Mit größeren Strömen wurde die Auslösezeit geringer, was zwar erwünscht war, aber die damaligen Relais verringerten die Auslösezeit nicht genau umgekehrt proportional mit dem Strom, sondern eher schneller. Die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Stufen wurden zu klein und führten zum Verlust der Selektivität. Die damaligen Schalter und Relais erforderten mindestens eine Staffelzeit von 0,5 bis 1,5 s. Die Relaiszeiten gingen aber bei hohen Strömen bis auf Zeitunterschiede von 0,1 bis 0,2 s zurück, sodass eine Auslösung des vorgeordneten Anlagenteiles nicht verhindert werden konnte [2].

Der Staffelschutz in Form des Überstromzeitschutzes bzw. Überstromrichtungsschutzes erwies sich auf Grund der hohen Fehlerabschaltzeiten und des auf Stich- oder Ringfahrweise abgestimmten Schaltzustandes zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts als nicht mehr ausreichend. Um die Netze frei zu gestalten entwickelte sich der Distanzschutz als wichtigstes Element der Schutztechnik. Bereits im Jahre 1904 schlug Krämer, Chr., F&G, ein Schutzrelais vor, dass die Grundzüge des Distanzrelais trägt. Der Patentanspruch lautet: „Relais zur selbsttätigen Ausschaltung eines Wechselstromes, das bei Überschreitung der normalen Stromstärke einen Hilfsstromkreis schließt, dadurch gekennzeichnet, dass eine Haupt- und eine Nebenschlussspule auf eine drehbare Metallscheibe einander entgegenwirkende Drehmomente ausüben, zum Zwecke, nach dem Maß der Überschreitung der normalen Stromstärke zufolge des davon abhängigen Sinkens der Spannung den Zeitpunkt der Schließung des Hilfsstromkreises zu bemessen.“ (Bild 4)

Besondere Verdienste hat sich die AEG und die Dr. Paul Meyer AG erworben, indem sie als erste deutsche Firma fast gleichzeitig in den Jahren 1923/24 das Distanzrelais erfolgreich in die Praxis eingeführt hat. Dem waren verschiedene Patente vorangegangen. Am 23. April 1908 kommt es zur Erteilung eines Patentes, Erfinder Kuhlmann,K., an die AEG, nach dem erstmalig eine vom Strom angetriebene Ferraris-Scheibe vorgeschlagen wird, bei der ein besonderer Spannungsmagnet im bremsenden Sinne wirkt, wodurch sich eine distanzabhängige Kommandozeit ergibt. Zwei Monate später erhält Kuhlmann,K. ein grundlegendes Patentes zum Distanzschutz als Kipprelais (Wagebalkenprinzip) abhängig von U< und I> mit Ferrarisscheibe und Drehanker. Da es sich beim Waagebalkenrelais um eine mechanische Vorrichtung handelt, ist der Phasenwinkel zwischen Strom und Spannung unbedeutend, sodass der beim elektromechanischen Relais typische Impedanzkreis entsteht.

Es folgt 1911 eine Erfindung von Wecken,W. die die Grundlage für den selektiven Spannungsabfallschutz bildet.

Der Impedanzschutz

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Bild 5: Biermannsrelais, AEG

1918 entwickelte Meyer,G.J. die Grundlage für das spätere N-Relais, Netzschutzrelais. Die erste Distanzschutzanlage erhielt das 4-kV-Kabelnetz der Stadt Karlsruhe im März/April 1923. Die ersten nach dem Entwickler benannten Biermannsrelais (Bild 5) wurden Mitte 1924 im 30-kV-Netz der Thüringer Elektrizitäts-Lieferungsgesellschaft (ThELG) mit Sitz in Gotha, in Betrieb genommen.

Bereits die ersten Jahre der Entwicklung des Distanzschutzes waren von einer Flut von Patenten begleitet. Von 1908 bis Anfang der 20ger Jahre folgten Erfindungen von Kuhlmann,K.; Wecken,W.; Chrichton,L.N.; Meyer,G.J., Ackerman,P. und Biermanns,J. Die Ablaufzeit änderte sich im Verhältnis Spannung/Strom = Impedanz, was schließlich zu der Bezeichnung „Impedanzschutz“ (oder auch „widerstansabhängiges Relais“) führte. Durchgesetzt hat sich allerdings, wegen der entfernungsabhängigen Auslösezeit der Begriff „Distanzschutz“.

Einzug der Elektronik

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Bild 6: Erstes Distanzrelais mit polygonaler Kennlinie, RAZOG, ASEA

Der erste elektronische Distanzschutz kommt 1959 zum Einsatz. So berichtet die EdF (F) von der Inbetriebnahme eines Transistor-Distanzschutzes im 220-kV-Netz, welcher im ersten Jahr bei 40 ein- und mehrpoligen Fehlern in 38 Fällen einwandfrei gearbeitet hat. Nach Herstellerangaben hatte das Relais im Strom- und Spannungspfad nur einen Verbrauch von 2 VA und die Stufenkennlinie sollte sich bei weitgehender Unabhängigkeit vom Kurzschlussstrom nahezu der Idialkennlinie nähern. Auch von einem englischen Hersteller wird über ein transistorisiertes Distanzrelais mit Mho-Kennlinie berichtet, das für das südafrikanische Höchstspannungsnetz entwickelt wurde und sich dort im Probebetrieb bewährt hat. Bemerkenswert war aber, dass die englischen Hersteller dieses Relais vor allzu hemmungsloser Begeisterung für die Transistorrelais gewarnt haben. Sie sollten nur da angewandt werden, wo mit ihnen tatsächlich Vorteile erzielbar wären. Die hochentwickelten elektromagnetischen Relais in Gleichrichter-Brückenschaltung, unter Umständen in Verbindung mit Transduktoren, wären z.Z. noch besser und wirtschaftlicher.

Das weltweit erste Distanzrelais mit polygonaler Charakteristik war das im Jahre 1970 von ASEA gefertigte dreiphasige statische Relais ROZOG (Bild 6) mit einer Wirkzeit von 21 ms.

Buchholzschutz

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Bild 7:Buchholzrelais, 1925

Im Jahre 1921 erhielt M. Buchholz das erste Patent für die heute nach ihm benannte Schutzeinrichtung. Im Buchholzrelais (Bild 7)wurde im Gegensatz zu den bisherigen Schutzsystemen erstmalig eine Einrichtung benutzt, die nicht die Abweichung des Strom-, Spannungs- oder Leistungszustandes vom Sollwert in Tätigkeit gesetzt wurde, sondern durch mechanische Vorgänge, die mit Störungen verbunden sind. Ölzersetzungserscheinungen konnten bereits im Anfangsstadium ermittelt werden [4].

Überlastschutz

Die Verwendung thermischer Relais zum Schutz von Generatoren wurde in Europa besonders durch BBC eingeführt und fand großen Anklang.

Die VDE-Vorschriften schrieben bei Generatoren über 5000 kVA den Einbau von sechs Widerstandsthermometern oder Thermo-Elementen im Ständer zur Überwachung der Wicklungstemperaturen vor. Nach dem Einbau waren sie schwer zugänglich, weshalb man bei defekten auf Ersatz oft verzichtete. Man ist deshalb dann dazu übergegangen, die Temperatur der Generatoren durch Thermorelais zu überwachen. Diese Geräte enthielten u.a. ein thermisches Element, dessen Erwärmung durch den dem Hauptstrom proportionalen Relaisstrom zum Abbild der Erwärmung der Hauptmaschine wurde (Bild 8).

Ständererdschlussschutz

1924 schlägt W. Bütow, AEG, zur Erhöhung der Empfindlichkeit des Erdschlussschutzes bei Fehler in Nähe des Generatorsternpunktes den Einbau strom- und spannungsabhängiger Widerstände vor [2]. Dieser ging als „Bütow-Schutz“ in die Geschichte ein. Bild 9 zeigt die auf dem Schutzschrank aufgesetzten Eisen-Wasserstoff-Widerstände.

Frequenzschutz

Ein über längere Zeit hinaus anhaltender Betrieb der Generatoren im Unterfrequenzbereich wirkt sich insbesondere ungünstig auf die Lebensdauer der Turbogeneratoren aus. Anderseits müssen Generatoren möglichst lange am Netz bleiben, um bei aus dem Gleichgewicht geratenem Verhältnis von Verbrauch und Erzeugung Netzzusammenbrüche zu vermeiden.

Der deutsch-amerikanische Elektroingenieur Charles Proteus Steinmetz, später angestellt bei der GE und 1901/02 Präsident des Berufsverbandes American Institute of Electrical Engineers (AIEE), gilt als Erfinder des Frequenzrelais.

Einzug der Halbleitertechnik

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Es war ein entscheidender Schritt, als im Jahre 1937 erstmals der Trockengleichrichter in der Selektivschutztechnik angewendet wurde, und zwar zunächst bei den Impedanzmessgliedern als den verbesserungsbedürftigen Bausteinen der damaligen Distanzrelais. Der wichtigste Unterschied war, dass jetzt das Drehmoment nicht mehr quadratisch, sondern linear mit dem Kurzschlussstrom anstieg und dass Sättigungserscheinungen vermieden wurden. Es machte nun keine Schwierigkeiten mehr, ein genaues und elektrisch wie mechanisch einwandfreies Funktionieren selbst bis zu den höchsten vorkommenden Strombereichen zu erzielen. Die Kommandozeiten wurden wegen der kleineren Masse der bewegten Teile halbiert und später noch weiter verringert. Besonders vorteilhaft war auch der außerordentlich geringe Leistungsverbrauch solcher Gleichrichterschaltungen; der Verbrauch wurde um mehr als eine Größenordnung kleiner, obwohl gleichzeitig die kürzesten erfassbaren Kabelstrecken auf den fünften Teil des bis dahin Erreichten verringert werden. Ein wesentlicher Vorteil des Gleichrichterbetriebes lag auch darin, dass die Kennlinien der Relais mit einfachen ohmschen Widerständen nach einfachen Gesetzmäßigkeiten wie bei der Messbereichserweiterung eines Voltmeters bequem und in genau definierter Weise skalenmäßig eingestellt werden konnten, was nicht zuletzt dazu beitrug, die Relais am Einbauort einfacher bedienen zu können.

Eine grundsätzliche Darstellung der Messanordnung beim ersten derartigen Schnelldistanzrelais SD4 der AEG, das vom 1937 bis mach dem Kriegsende angewendet wurde, zeigt Bild 10. Die Betriebserfahrungen waren so überzeugend, dass man sich schließlich ganz allgemein und auf breiter Basis diesem Konstruktionsprinzip zuwandte [5]

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Der von 1928 bis 1932 in Deutschland bei der Dr. Paul Meyer AG, später AEG, wirkende Relaisspezialist Dr. Rolf Wideröe fertigte nach seiner Rückkehr in sein Heimatland 1933 bei N. Jacobsens Elektriske Verksted a/s, NJEV (N), ein Distanzrelais unter Verwendung einer Neonröhre (Bild 11) [6].

Da bewegliche Kontakte der elektromechanischen Relais eine gewisse Unsicherheit für die Schutzeinrichtungen darstellten, versuchte man zunächst die Elektronenröhre als kontaktloses Schaltelement zu verwenden. Wegen der beschränkten Lebensdauer des Glühfadens bei Röhren suchte man nach Lösungen unter Einsatz von passiven und aktiven Halbleiterbauelementen. Die Versuche mit Röhren wurden – abgesehen von einigen Ausnahmen - etwa 1955 endgültig aufgegeben, weil die Halbleitertechnik ein Höchstmaß an Betriebssicherheit zu gewährleisten versprach. Die Entwicklung hin zu statischen Relais führte zu ausgereiften Konstruktionen, die eine wertvolle Ergänzung zu den elektromechanischen Relais darstellten. Die 1948 erfolgte Entdeckung des Transistors durch den US-amerikanischen Physiker und späteren Nobelpreisträger William Bradford Shockley revolutionierte auch den Schutzrelaissektor, indem dann 10 Jahre später die ersten Veröffentlichungen über diesbezügliche spezifische Anwendungen erschienen, und nach weiteren 10 Jahren Transistorschutzrelais industriell in Serie gefertigt wurden [7].

Statische Schutzrelais

Solid-State Relais erschienen in den späten 1950er Jahren. Diese Relais waren gekennzeichnet durch Einsatz elektronischer Bauelemente wie Dioden, Transistoren und Operationsverstärkern und boten eine größere Flexibilität als die elektromechanischen Relais.

Basierend auf den Schutzkriterien und Kennlinien elektromechanischer Relais wurden Komponenten zunächst teilweise durch analog-elektronische (Statische) Äquivalente ersetzt. Gleichzeitig wurden neue Messverfahren und Kennlinien eingeführt. Damit fielen viele Nachteile der elektromechanischen Relais weg, wie z.B. Kontaktverschmutzung und Lagerschäden. In den Jahren um 1960 kamen vollelektronische Schutzrelais auf den Markt, die sich nach Überwindung der Kinderkrankheiten“ (vorwiegend aus Gründen der nicht sofort beherrschten Beeinflussungsprobleme) durchsetzten. Bild 12 zeigt das einsystemige statische Distanzrelais 7SL24 von Siemens aus dem Jahr 1975.

Digitale Schutzrelais

Insbesondere war es George, D. Rockefeller, Westinghouse, mit seinem 1968 verfassten und 1969 in der IEEE veröffentlichten Beitrag [8], der die neue Schutzgeneration einleitete. Bereits 1971 testete Westinghouse den Leitungsschutz PRODAR mit Computer auf der 220-kV-Leitung Tesla-Bellota, PG&E (US). Die erste volldigitalisierte Schutzanlage Europas unter Einsatz eines Prozessrechners für Schutzaufgaben und Protokollierung in Echtzeit (Bild 13) geht 1977 im 110/20-kV-UW Bad Kissingen, ÜWU in Betrieb. [6]

Frequenz- und Motorschutzgeräte waren die ersten Schutzrelais mit Mikroprozessoren. Als typisches Beispiel gelten des Frequenzrelais FC95 (Bild 14) und des Motorschutzrelais MC91, BBC [10].

Als vorteilhaft haben sich Mehrprozessoranordnungen mit einem gemeinsamen Rechnerbus für den internen Informationsaustausch bei komplexeren Schutzeinrichtungen erwiesen. Bereits bei der teildigitalen Distanzschutzeinrichtung SD36, AEG (Bild 15), die in Mittelspannungsnetzen seit 1985 eingesetzt wird, hat man Datenerfassung und –bedienung mit Hilfe von 8-bit-Prozessoren getrennt [11].

Zu den ersten digitalen Distanzrelais zählen: RELZ100, ABB, 1986; PD551, AEG, 1995; DD1, EAW, 1992; SHNB, GEC, 1980; DTIVA2, Protecta, 1995; SEL-21, SEL, 1984 und 7SA502, Siemens, 1986. Neben der Distanzschutzfunktion sind nun AWE, Unterimpedanzanregung, Synchrocheck und Fehlerorter in einem Gerät vereinigt. Ereignisse, Messwerte und Störschriebe können über eine serielle Schnittstelle zur Leittechnik übertragen und dort im COMTRADE-Format ausgewertet werden. Hinzu kommt eine weitest gehende Eigenüberwachung.
Ab 1995 werden von allen Relaisherstellern kombinierte Schutz- und Steuergeräte gefertigt, die vor allem in der Mittelspannung erfolgreich eingesetzt werden. Als Beispiel dient hier das Distanzrelais DDE6-2 mit abgesetzten Bedientableau von Sprecher Automation aus dem Jahre 2008 (Bild 16).

Die Schutz- und Leittechnik wächst zusammen und adaptive Lösungen lassen erste Schritte der automatischen Anpassung der Schutzeinstellungen an die Netztopologie bzw. durch Störungsauswertungen erkennen.
Ausführlich wird die Historie der Schutz- und Leittechnik in einer Serie in der Zeitschrift PACWorld www.pacw.org behandelt. Eine aktuelle Liste mit Links zu den bisherigen Veröffentlichungen befindet sich unter [12].

Literatur

[1] -; Von der Calor zur ABB Calor Emag Mittelspannung GmbH. Festschrift zur 75jährigen Firmengeschichte. Hrsg.: ABB
[2] Titze,H.: Die Entwicklung des Selektivschutzes für elektrische Anlagen. Erweiterte Fassung einer im Konrad-Matschoss-Preisausschreiben 1962 ausgezeichnete Arbeit. 44 S.
[3] Kuhlmann,K.: Sicherheits- und Empfindlichkeitsfaktor des Leitungsschutzsystems von Merz und Price. Archiv für Elektrotechnik, Bd. 1 (1912)H.3, S.110-124 u. 150-162
[4] Borsi,H.; Urich,M.; Leibfied,D.: Das neue „elektronische“ Buchholzrelais. ew 97(1998)H.13, S.46-52
[5] Gutmann,H.: 25 Jahre Trockengleichrichter in der Selektivschutztechnik, AEG-Mitteilungen 53(1963)H.1/2; S.1-4
[6] Distance Relays System Wideröe for Short-circuit Protection of Electrical Power System. N. Jacobsens Elektriske Verksted a/s, Oslo, Norway
[7] Kolar, A.: Verwendung von Computern anstelle von Schutzeinrichtungen. Bulletin SEV 61(1970)H.10, S.442-446
[8] Rockefeller,G.D.: Fault protection with a digital computer, IEEE on PAS, Vol.-PAS-88(1969)4, pp.438-464
[9] Mainka,M.; Ziegler,G.: 25 Jahre digitaler Schutz. Vom zentralen Stationsrechner zu verteilten Mikroprozessoren. Elektrizitätswirtschaft 98(1999)H.10, S.49-53
[10] Mörke,U.: Mikroprozessoren in der Netzschutztechnik, etz 105(1984)H.3, S.128-131
[11] Offhaus,W.; Schegner,P.: Entwicklungstendenzen beim digitalen Leitungsschutz. etz 113(1992)H.17, S.1070-1075
[12] History in “Protection Automation Control World”.
http://www.walter-schossig.de/PACWorld-History.pdf

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