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Dorothee Bär, Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt.

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11.12.2025 Veranstaltungsrückblick

Microelectronics for Future 2025: Nicht Autarkie, sondern Souveränität

Wie sichern wir die Verfügbarkeit sicherer Mikroelektronik für Leitmärkte und kritische Infrastrukturen? Wie bleibt Europa ein attraktiver Standort? Und wie stärken wir gezielt Innovationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette? Darum ging es bei „Microelectronics for Future 2025“.

Von Alexander Morhart

Eine Stärkung der Mikroelektronik als Grundlage für Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz der europäischen Wirtschaft war das Thema der Tagung „Microelectronics for Future 2025“ von VDE und ZVEI, die am 3.12.2025 in Berlin stattfand. Auf der Bühne stand neben dem ZVEI-Präsidenten Dr. Gunther Kegel und dem stellvertretenden VDE Präsidenten Prof. Dr. rer. nat. Christoph Kutter auch Dorothee Bär, Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt. Sie sprach in ihrer Keynote über Grundzüge und Elemente der gemeinsamen Mikroelektronik-Strategie von Bundesforschungs- und Wirtschaftsministerium.

Inhaltlich stand bei der Veranstaltung – anders als im Vorjahr – diesmal weniger die Frage der finanziellen Förderung im Vordergrund. Viele Beiträge schätzten den gegenwärtigen Zustand der europäischen Mikroelektronikindustrie ein und fragten nach Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen jenseits einer Förderung zu verbessern.

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Der stellvertretende VDE Präsidenten Prof. Dr. rer. nat. Christoph Kutter (links) und ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel auf der Bühne bei Microelectronics for Future.

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Kaum noch Leiterplatten aus Europa

Der Co-Vorsitzende der ZVEI-Plattform Microelectronics Nicolas Schweizer stellte die im Gegensatz zu den traditionell in der EU starken Bereichen Leistungshalbleiter, Mikrocontroller und Sensorik sehr schwache Position bei Elektronikfertigung (EMS) und Leiterplattenherstellung dar. Im Laufe der vergangenen 20 Jahre sei der europäische Weltmarktanteil bei der Fertigung von 21 auf heute 10 Prozent gefallen, bei der Herstellung von Leiterplatten von 20 auf nur noch 2 Prozent. Unter anderem durch Steuervergünstigungen habe China seinen Weltmarktanteil auf 60 Prozent steigern können. Am meisten Sorgen mache dem CEO von Schweizer Electronics, dass „mit diesem rudimentären Anteil uns auch die Innovation abhandenkommt.“ Zudem könnten nicht nur in Software, sondern ebenso in Baugruppen oder Leiterplatten gezielt Schwachstellen („Backdoors“) zur missbräuchlichen Nutzung auch in kritischen Infrastrukturen und in Verteidigungstechnologien eingebaut werden. Es könne daher nötig werden, „über Importzölle zu reden“.

„Ad acta legen“ müsse man allerdings den „Glauben, dass wir uns komplett lokalisieren oder regionalisieren können“. In die gleiche Kerbe schlug der stellvertretende VDE Präsident Prof. Dr. rer. nat. Christoph Kutter. „Autarkie hat keiner und wird wahrscheinlich auch keiner haben können“, sagte er. Jens Eckert, Einkaufschef für Digitales bei Siemens, warnte gar davor, die europäische Produktion zu forcieren: „Die Preise wären wahrscheinlich doppelt oder dreimal so hoch.“

Anders klang das bei Frank Jakubowski, Senior Director Manufacturing Operations bei GlobalFoundries: „Mit unseren Partnern können wir alles vom Wafer bis zum Chip – und, wenn gewollt, bis zum Modul – anbieten in einem europäischen Rahmen oder auch in einem ‚German-only‘-Rahmen.“ Andererseits machte Jakubowski darauf aufmerksam, dass man die von Christoph Kutter geforderte Überprüfung von Chips durch Reverse Engineering auch digital machen könne, falls die dafür nötigen Daten ausgetauscht würden.

Thomas Erndl MdB, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wies auf die Verantwortung des jeweiligen privatwirtschaftlichen Betreibers hin. Der Staat sei „nicht dafür da – und auch gar nicht in der Lage –, alles und jeden zu schützen“.

Kostennachteil von 15 bis 60 Prozent

Wie hoch derzeit der Kostennachteil für einen europäischen Standort gegenüber einem in Malaysia oder China ist, referierte Tanjeff Schadt von PwC Strategy&. Er stellte Zwischenergebnis einer laufenden Studie im Auftrag der niederländischen und deutschen Verbände FME und ZVEI sowie der Wirtschaftsministerien der beiden Länder vor. Für die Waferstrukturierung („Frontend“) nannte Schadt einen Unterschied von 15 bis 30 Prozent, für das Verpacken zum Chip („Backend“) von 20 bis 60 Prozent. Die wesentlichen Treiber seien Bau-, Energie- und Arbeitskosten. Zwar gebe es auch Stärken des Standorts EU gegenüber Asien – wie Infrastruktur und Forschungseinrichtungen sowie politische Stabilität. Dem stünden jedoch Schwächen gegenüber: eine begrenzte Verfügbarkeit von Talenten bei innovativer Technologie und „komplexe und wenig transparente Förder- und Genehmigungsverfahren“.

Dr. Beate Baron, Abteilungsleiterin Industriepolitik im Bundeswirtschaftsministerium, nannte aus Sicht ihrer Ministerin einen weiteren Bereich mit Handlungsbedarf: Arbeitsmarkt- und Sozialreformen. „Und wenn wir ganz ehrlich sind, dann ist das sogar die größere Stellschraube als die Energiekosten“, sagte sie.

Das Kapitel „Rahmenbedingungen“ war immer wieder Thema. Nicolas Schweizer beklagte aus seiner Praxis Verzögerungen durch die Umweltgesetzgebung: „Es geht schon bei der kleinsten Baugenehmigung oder Mengengenehmigung los. Ich brauche zwischen zwei und vier Jahren, bis ich eine neue Galvano-Anlage aufstellen darf. Und da endet die Investitionsfreude bei mir.“

Dr. Andreas Bamberg, Geschäftsführer Prozessentwicklung bei Merck Electronics, berichtete über ein Projekt im ENPRO-Forschungsverbund, das mit Hilfe modularer Anlagen („MTP“) in der Prozessindustrie die Resilienz erhöhen und Energie einsparen konnte. Doch das war laut Bundes-Immissionsschutzgesetz zunächst nicht erlaubt. „Nach acht Jahren ist ein neuer Text entstanden. Acht Jahre für zwei neue Sätze!“

Für eine neue Fehlerkultur

Elizabete de Freitas, bei Texas Instruments für die Zusammenarbeit mit der mitteleuropäischen Autoindustrie verantwortlich, kritisierte die hiesige Risikokultur. Es sei nicht gut, „wenn uns die Prozesse zu langsam machen und Innovation verhindern.“ Ein Problem, das sich nach Christoph Eirich, Leiter des Einkaufs beim Autozulieferer Dräxlmaier, mit der mehr und mehr nötigen gleichzeitigen Entwicklung von Halbleiter, Komponente und Fahrzeug noch verschärfen wird: „Wenn es an irgendeiner Stelle schiefgeht, dann stehen alle.“ Es brauche eine Kultur, die Fehler „über mehrere Wertschöpfungsstufen“ tolerierbar mache.

Mit Blick auf den Staat sagte ZVEI Präsident Dr. Gunther Kegel: „Das Wichtigste und vor allem Preiswerteste ist eine weitgehende, wirkliche Entbürokratisierung. Das kostet keinen Pfennig und setzt unglaubliche Kräfte frei.“

Freilich hielten alle Vortragenden neben solchen besseren Rahmenbedingungen auch eine stärkere Förderung für nötig – unter anderem, so Christoph Kutter, um eine „technologische Souveränität“ für freie Entscheidungen zu erlangen: „Wir brauchen Bereiche, wo wir führend sind, und wo wir eben auch die Möglichkeit hätten, andere zu blockieren.“ Er lobte die EU-Programme IPCEI und den EU-Chips-Act. Jedoch kritisierte Gunnar Thomas, General Counsel EMEA bei TSMC, diese Förderprogramme als zu bürokratisch und kompliziert für Mittelständler. Ähnlich Gunther Kegel, der als Alternative Steuergutschriftsverfahren ins Spiel brachte, welche „das unternehmerische Risiko da lassen, wo es hingehört, nämlich beim Unternehmer.“ Kegel regte außerdem an, Normung und Standardisierung in die steuerliche Forschungsförderung aufzunehmen.

Bundesforschungsministerin Dorothee Bär kündigte an, ihr Haus werde zusätzlich zu dem Geld aus dem Wirtschaftsministerium bis zum Ende der Legislaturperiode „mindestens 18 Milliarden Euro investieren“, unter anderem in ein „Chipdesign-Kompetenzzentrum“. Zudem kündigte sie Änderungen im Vergaberecht an – sowohl bei der Forschungsförderung („Innovationsfreiheitsgesetz“) als auch bei staatlichen Ausgaben, wo Sicherheit ein größeres Gewicht bekommen solle. Letzteres ganz im Sinne von Gunnar Thomas’ Forderung, Cloudservices lokal einzukaufen, was nach seinen Worten „mit relativ kleinem Geld“ schlussendlich auch „für lokale Nachfrage bei der Chipherstellung“ sorgen könne.

Innovationen aus Deutschland

Benjamin Sokolowski, Vice President Government Affairs bei Qualcomm Germany, stellte ein in deutsch-amerikanischer Zusammenarbeit mit BMW entstandenes System für autonomes Fahren vor. Das globale Entwicklerteam von über 1.400 Spezialisten sei aus Bayern geführt worden. Bisher einmalig sei, dass das System der gesamten Automobilindustrie zur Verfügung gestellt werde.

Eine technologische Weltneuheit präsentierte Dr. Sabine Kolodinski, stellvertretende Leiterin Governmental Relations bei FMC. Ferroelektrisches Hafniumoxid werde es zukünftig erlauben, die traditionelle Computerarchitektur mit zwei flüchtigen und einem persistenten Speicher sowie zwei Datentransferebenen dazwischen („Memory Walls“) durch nur einen Chip mit einem persistenten Speicher ohne Strombedarf zu ersetzen. Der so stark verringerte Energiebedarf bei gleichzeitig erhöhter Leistung werde KI-Anwendungen im Endgerät ermöglichen.

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Munir Werner / ZVEI

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