Stromstecker mit defekter Anschlussleitung
29.08.2019 Fachinformation

Stromunfälle begutachten

Der Leitfaden "Technisches Gutachten bei vermuteter elektrischer Körperdurchströmung" gibt Gutachtern in kompakter Form eine konkrete Hilfestellung, was bei der Untersuchung einer elektrischen Körperdurchströmung zu beachten und im Gutachten zu dokumentieren ist.

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VDE e.V.

Der VDE sorgt seit seiner Gründung vor 125 Jahren, dass der Umgang mit elektrischer Energie sicher ist. Die Anzahl der tödlichen Stromunfälle in Deutschland ist in den letzten 26 Jahren um 90% zurückgegangen - von ca. 300 (1990) auf 34 (2016) – und das trotz zunehmender Nutzung von elektrischer Energie in allen Lebens- und Arbeitsbereichen.

Um noch mehr Stromunfälle zu vermeiden („Vision Zero“), sind detaillierte Analysen der erfolgten Körperdurchströmungen notwendig. Dabei sollen

  • die Stromwege durch die menschlichen Körper,
  • die Stromstärken sowie
  • die Einwirkdauern

ermittelt werden. Auf Basis dieser Ergebnisse will der VDE-Ausschuss Sicherheits- und Unfallforschung (SUF) Empfehlungen für einen sichereren Umgang mit elektrischer Energie ableiten, z. B. durch Anpassung der VDE-Normen.

Leider werden nach vielen Stromunfällen keine Sachverständigen mit einer Untersuchung beauftragt, da der Unfallhergang vermeintlich klar ist. Kommt es doch zu einer Untersuchung, werden immer wieder Gutachten erstellt, die die o.g. Untersuchungskriterien nicht ausreichend beachten.

Deshalb hat der VDE zusammen mit Vertretern des Landeskriminalamtes NRW in 2005 einen „Leitfaden Technisches Gutachten bei vermuteter elektrischer Körperdurchströmung“ veröffentlicht. Er gibt Gutachtern in kompakter Form eine konkrete Hilfestellung, was bei der Untersuchung einer elektrischen Körperdurchströmung zu beachten und im Gutachten zu dokumentieren ist.

Im März 2009 und Juni 2019 fanden Workshops statt, in denen die Anwendung des Leitfadens in der Praxis vorgestellt und diskutiert wurde.


Stromunfälle verstehen - Sicherheit verbessern

VDE-Workshop Stromunfälle begutachten, 13.06.2019, Berlin

Experten diskutieren beim VDE-Workshop "Stromunfälle begutachten" über Stromunfälle und wie sich diese verhindern lassen

Vor zehn Jahren hat der VDE einen Technischen Leitfaden für die Erstellung von Gutachten bei Stromunfällen herausgegeben. In der Zwischenzeit haben sich die VDE-Normen geändert, neue Anwendungen von Elektrizität insbesondere mit Gleichstrom sind hinzugekommen. Leider ist auch das Bewusstsein für die Gefährlichkeit von Elektrizität im Alltag zurückgegangen, was zuletzt zu mehreren tödlichen Stromunfällen mit Smartphone-Ladegeräten geführt hatte.

Grund genug für den VDE-Ausschuss Sicherheits- und Unfallforschung, in einem Workshop am 13.6.2019 in Berlin alle Themen rund um die Gutachtenerstellung zu beleuchten. Mit den 34 Teilnehmern waren viele relevante Interessensgruppen - Polizei, Elektrosachverständige, Mediziner, Berufsgenossenschaften, Industrie, Wissenschaft - vertreten. Durch die unterschiedlichen Schwerpunkte, die sowohl in den Vorträgen als auch in den Diskussionen zu Tage traten, wurde die Thematik intensiv vertieft.

R. Hirtler von der Stiftung Elektroschutz, Wien, stellte die Wirkung des elektrischen Stromes auf den menschlichen Körper dar und verwies auf Untersuchungen, die z. B. von H. Freiberger (1934) und Prof. Biegelmeier (ab ca. 1980) durchgeführt wurden. Ergänzend trug W. Zschiesche vom Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Bochum, die medizinische Sichtweise bei der Begutachtung von Stromunfällen vor.

Die grundlegenden Maßnahmen zum Personenschutz gegen elektrischen Schlag der Normen VDE 0140 und VDE 0100-410 wurden von B. Schulze, ZVEH Frankfurt, beschrieben. Er hob hervor, dass diese Normen 2016 bzw. 2018 international harmonisiert wurden und so ein einheitliches Verständnis vom Basisschutz, Fehlerschutz und zusätzlichem Schutz vorliegt.

Den Leitfaden zum Technischen Gutachten stellte H. Bauer von der Technischen Universität Dresden und stellvertretender Leiter des VDE-Ausschusses vor. Eine einfache Checkliste der Struktur 3F+2B - 3 Fehler und 2 Berührungen - ergibt fünf Fragen zu den drei Schutzarten und zum Stromweg durch den Menschen. Das führt zu einem wesentlichen Verständnis, wie ein Stromunfall sich ereignet haben könnte. An konkreten Beispielen wurde die Vorgehensweise erläutert.

Der Workshop-Leiter R. Irion, Landeskriminalamt NRW, Düsseldorf, zeigte die Anwendung des Leitfadens in der Praxis. Die detaillierte Untersuchung nach mutmaßlichen Stromunfällen ergab in einigen Fällen, dass die Todesursache nicht auf Elektrizität zurückzuführen war.

Ein in der Fachwelt besonders diskutierter, vermutlicher Stromunfall fand 2013 statt: Zwei tote Kinder in einer Badewanne, zusammen mit einem eingeschalteten Elektrogerät. M. Tripp vom TÜV Hessen, Kassel, berichtete, wie dieses Geschehnis nachträglich durch den VDE-Ausschuss aufwändig untersucht wurde und welche Schlüsse sich daraus ableiten lassen.

In den Diskussionen wurde erwähnt, dass dem Wunsch nach möglichst detailgetreuer Dokumentation und Analyse im Gutachten die Realität des vorangehenden Notfalleinsatzes gegenüberstehen kann: Elektrogeräte werden umgehend entfernt, die Stromversorgung abgeschaltet, Stecker aus Steckdosen herausgezogen, ohne Dokumentation des Zustands zum Unfallzeitpunkt.

Alle Teilnehmer waren sich einig, dass nur durch das Zusammenwirken von Polizei / Einsatzkräften, Richtern und Staatsanwälten, Elektrosachverständigen und Medizinern Stromunfälle belastbar "aufgeklärt" werden können. Erst auf dieser Basis können Überlegungen zur Erhöhung der elektrischen Sicherheit dazu führen, Empfehlungen zur weiteren Präzisierung von Normen abzuleiten. Zur Erfüllung dieser Aufgabe des VDE-Ausschusses für Sicherheits- und Unfallforschung trägt auch die Weiterbildung durch derartige Workshops bei.

Wenn Sie am Workshop "Stromunfälle begutachten" 13.6.2019 teilgenommen haben, melden Sie sich bitte an, damit Sie die exklusiven Unterlagen zum Download sehen.

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VDE

Bei tödlich verlaufenden Unfällen mit vermuteter elektrischer Körperdurchströmung ist es sinnvoll, qualifizierte Gutachter mit der Untersuchung der Todesfälle zu beauftragen. Dabei werden die Stromwege durch die menschlichen Körper, die Stromstärken sowie die Einwirkdauern bestimmt bzw. abgeschätzt und so plausible Beschreibungen des Unfallhergangs erstellt.
Polizei, Staatsanwaltschaften oder Gerichte können sich in diesen Fällen an die Experten in den Landeskriminalämtern wenden.
Bei Bedarf hilft der VDE bei der Suche nach Gutachtern (Kontakt s.o.).

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