Vor zehn Jahren hat der VDE einen Technischen Leitfaden für die Erstellung von Gutachten bei Stromunfällen herausgegeben. In der Zwischenzeit haben sich die VDE-Normen geändert, neue Anwendungen von Elektrizität insbesondere mit Gleichstrom sind hinzugekommen. Leider ist auch das Bewusstsein für die Gefährlichkeit von Elektrizität im Alltag zurückgegangen, was zuletzt zu mehreren tödlichen Stromunfällen mit Smartphone-Ladegeräten geführt hatte.
Grund genug für den VDE-Ausschuss Sicherheits- und Unfallforschung, in einem Workshop am 13.6.2019 in Berlin alle Themen rund um die Gutachtenerstellung zu beleuchten. Mit den 34 Teilnehmern waren viele relevante Interessensgruppen - Polizei, Elektrosachverständige, Mediziner, Berufsgenossenschaften, Industrie, Wissenschaft - vertreten. Durch die unterschiedlichen Schwerpunkte, die sowohl in den Vorträgen als auch in den Diskussionen zu Tage traten, wurde die Thematik intensiv vertieft.
R. Hirtler von der Stiftung Elektroschutz, Wien, stellte die Wirkung des elektrischen Stromes auf den menschlichen Körper dar und verwies auf Untersuchungen, die z. B. von H. Freiberger (1934) und Prof. Biegelmeier (ab ca. 1980) durchgeführt wurden. Ergänzend trug W. Zschiesche vom Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Bochum, die medizinische Sichtweise bei der Begutachtung von Stromunfällen vor.
Die grundlegenden Maßnahmen zum Personenschutz gegen elektrischen Schlag der Normen VDE 0140 und VDE 0100-410 wurden von B. Schulze, ZVEH Frankfurt, beschrieben. Er hob hervor, dass diese Normen 2016 bzw. 2018 international harmonisiert wurden und so ein einheitliches Verständnis vom Basisschutz, Fehlerschutz und zusätzlichem Schutz vorliegt.
Den Leitfaden zum Technischen Gutachten stellte H. Bauer von der Technischen Universität Dresden und stellvertretender Leiter des VDE-Ausschusses vor. Eine einfache Checkliste der Struktur 3F+2B - 3 Fehler und 2 Berührungen - ergibt fünf Fragen zu den drei Schutzarten und zum Stromweg durch den Menschen. Das führt zu einem wesentlichen Verständnis, wie ein Stromunfall sich ereignet haben könnte. An konkreten Beispielen wurde die Vorgehensweise erläutert.
Der Workshop-Leiter R. Irion, Landeskriminalamt NRW, Düsseldorf, zeigte die Anwendung des Leitfadens in der Praxis. Die detaillierte Untersuchung nach mutmaßlichen Stromunfällen ergab in einigen Fällen, dass die Todesursache nicht auf Elektrizität zurückzuführen war.
Ein in der Fachwelt besonders diskutierter, vermutlicher Stromunfall fand 2013 statt: Zwei tote Kinder in einer Badewanne, zusammen mit einem eingeschalteten Elektrogerät. M. Tripp vom TÜV Hessen, Kassel, berichtete, wie dieses Geschehnis nachträglich durch den VDE-Ausschuss aufwändig untersucht wurde und welche Schlüsse sich daraus ableiten lassen.
In den Diskussionen wurde erwähnt, dass dem Wunsch nach möglichst detailgetreuer Dokumentation und Analyse im Gutachten die Realität des vorangehenden Notfalleinsatzes gegenüberstehen kann: Elektrogeräte werden umgehend entfernt, die Stromversorgung abgeschaltet, Stecker aus Steckdosen herausgezogen, ohne Dokumentation des Zustands zum Unfallzeitpunkt.
Alle Teilnehmer waren sich einig, dass nur durch das Zusammenwirken von Polizei / Einsatzkräften, Richtern und Staatsanwälten, Elektrosachverständigen und Medizinern Stromunfälle belastbar "aufgeklärt" werden können. Erst auf dieser Basis können Überlegungen zur Erhöhung der elektrischen Sicherheit dazu führen, Empfehlungen zur weiteren Präzisierung von Normen abzuleiten. Zur Erfüllung dieser Aufgabe des VDE-Ausschusses für Sicherheits- und Unfallforschung trägt auch die Weiterbildung durch derartige Workshops bei.