Ein medizinischer Roboterarm im Operationssaal
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14.09.2021 Fachinformation

Konformitätsbewertung bei Medizinprodukten: Welches Verfahren führt zum CE-Zeichen?

Damit am Medizinprodukt rechtmäßig die CE-Kennzeichnung angebracht werden darf, muss der Hersteller ein passendes Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen. Dessen Auswahl und Anwendung hat weitreichende Konsequenzen.

Kontakt
Dipl.-Ing. Hans Wenner

Senior Manager VDE Health

VDE Verband der Elektrotechnik
Elektronik Informationstechnik e.V.
Merianstraße 28
63069 Offenbach am Main

Tel.: +49 69 6308-572
hans.wenner@vde.com

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Wir stellen bei unserer Beratung von Herstellern immer wieder fest, dass die „Wege zur CE-Kennzeichnung“ allein durch Lesen der Medizinprodukteverordnung nicht zielsicher gefunden werden. Deshalb geben wir Ihnen in diesem Beitrag einen kleinen Wegweiser an die Hand, der Sie bei der Navigation unterstützen soll.

Vor dem Wegweiser aber einige wichtige Fragen und Antworten vorab:

Benötige ich ein Qualitätsmanagementsystem?

Bei der Auswahl eines geeigneten Verfahrens zur Konformitätsbewertung spielt das Qualitätsmanagementsystem (QMS) eine zentrale Rolle. So werden wir in unserer Beratungspraxis immer wieder mit der Frage konfrontiert: „Brauche ich ein QMS und falls ja: welches?“.

Die Antwort ist: ja.

Siehe Artikel 10 Absatz 9 der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MDR):

(9)  Die Hersteller sorgen dafür, dass sie über Verfahren verfügen, die gewährleisten, dass die Anforderungen dieser Verordnung auch bei serienmäßiger Herstellung jederzeit eingehalten werden. Änderungen an der Auslegung des Produkts oder an seinen Merkmalen sowie Änderungen der harmonisierten Normen oder der GS, auf die bei Erklärung der Konformität eines Produkts verwiesen wird, werden zeitgerecht angemessen berücksichtigt. Die Hersteller von Produkten, bei denen es sich nicht um Prüfprodukte (Produkte, die im Rahmen einer klinischen Prüfung bewertet werden, Anm. d. Autors) handelt, müssen ein Qualitätsmanagementsystem einrichten, dokumentieren, anwenden, aufrechterhalten, ständig aktualisieren und kontinuierlich verbessern, das die Einhaltung dieser Verordnung auf die wirksamste Weise sowie einer der Risikoklasse und der Art des Produkts angemessenen Weise gewährleistet.

Das Qualitätsmanagementsystem umfasst alle Teile und Elemente der Organisation eines Herstellers, die mit der Qualität der Prozesse, Verfahren und Produkte befasst sind. Es steuert die erforderliche Struktur und die erforderlichen Verantwortlichkeiten, Verfahren, Prozesse und Managementressourcen zur Umsetzung der Grundsätze und Maßnahmen, die notwendig sind, um die Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung zu erreichen. […]

Eine klare Aussage!

Decken die ISO 13485 oder eine andere QM-Norm wie ISO 9001 alle Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem ab?

Nein, leider nicht.

Die Einhaltung der ISO 13485 allein deckt nicht alle Anforderungen an ein solches QMS ab. Das sprengt allerdings den Rahmen dieses Beitrags.

Was ist der Unterschied bei den Konformitätsbewertungsverfahren?

Die Konformitätsbewertungsverfahren unterscheiden sich in Abhängigkeit von der Klassifizierung ihres Produkts darin

  1. ob eine Benannte Stelle benötigt wird (sie wird für Klasse-I-Produkte nicht benötigt);
  2. wie das Qualitätsmanagementsystem bewertet wird (entweder in Form eines Audits oder durch Überprüfung von Produkten aus der Fertigung).

Genau damit beschäftigt sich dieser Beitrag.

Beschreibt dieser Beitrag alle möglichen Spielarten von Produkten und Zulassungsverfahren?

Definitiv: nein!

Die in diesem Beitrag beschriebenen Konformitätsbewertungsverfahren beziehen sich auf schätzungsweise 80% der Medizinprodukte. Es gibt aber Besonderheiten und Fallstricke, beispielsweise bei Sonderanfertigungen oder Prüfprodukten, bei Produkten, die in sterilem Zustand in Verkehr gebracht werden, bei Produkten mit Messfunktion, bei Produkten, die beim Inverkehrbringen oder bei der Inbetriebnahme als integralen Bestandteil einen Stoff enthalten, der für sich allein genommen als Arzneimittel im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 2001/83/EG gelten würde, usw. usf.

Wenden Sie sich bei derartigen Produkten – wie bei allen Fragen, die bei der Wahl des geeigneten Konformitätsbewertungsverfahrens auftreten – gerne an uns! Wir klären Ihre Fragen in einem individuellen Gespräch.

Benötige ich immer eine Technische Dokumentation (siehe Anhang II und Anhang III der MDR)?

Definitiv: ja!

Die technische Dokumentation ist eine Zusammenstellung aller relevanten Dokumente eines Produkts. Sie muss während des gesamten Produktlebenszyklus auf dem aktuellsten Stand gehalten werden. Die technische Dokumentation ist Grundlage für die Konformitätsbewertung und damit für die CE Kennzeichnung eines Produktes.

Mehr Information im Fachbeitrag: Technische Dokumentation von Medizinprodukten nach MDR

Wege zur CE-Kennzeichnung – Überblick

Die Wahl des Konformitätsbewertungsverfahrens wird durch die Klassifizierung des Produkts bestimmt. Gemäß Artikel 51 bzw. Anhang VIII der MDR werden die Produkte unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung und der damit verbundenen Risiken in die Klassen I, IIa, IIb und III eingestuft. Zusätzlich sind noch die Klasse Is/m/r für Produkte der Klasse I, die steril geliefert werden (Is), eine Messfunktion besitzen (Im) oder wiederverwendbare chirurgische Instrumente sind (Ir) zu unterscheiden.

Aus der Klassifizierung ergeben sich die in Artikel 52 der MDR beschriebenen möglichen Konformitätsbewertungsverfahren.

Wege der Konformitaetsbewertung
VDE

Es ist klar erkennbar: außer für Klasse-I-Produkte, also die Produkte mit dem geringsten Risiko und ohne „spezielle Aspekte“, also Produkte der Klasse I die steril (Is) geliefert werden, die über eine Messfunktion (Im) verfügen oder wiederverwendbare chirurgische Instrumente (Ir) sind, stehen Alternativen zur Verfügung.


Die folgende Tabelle gibt Ihnen einen Überblick mit Bemerkungen, welche Besonderheiten zu beachten sind.
Die Tabellen können Sie hier als PDF herunterladen.


Risikoklasse I

Risikoklasse Is, Im, Ir

[1] Das „gesamte Qualitätsmanagementsystem“ umfasst sowohl die Entwicklung als auch die Produktion („vollständiges Qualitätsmanagementsystem“).

Risikoklasse IIa

[2] Leider ist der Begriff „Produktkategorie“ in der MDR nicht definiert. Im Leitfaden MDCG 2019-13 findet sich: “Category of devices: category of devices should be understood as the relevant MDA/MDN codes (MDR) or IVR codes (IVDR) according to Regulation (EU) 2017/2185 on the codes for the designation of notified bodies.” (frei übersetzt: Produktkategorie: Unter Produktkategorie sind die entsprechenden MDA/MDN-Codes (MDR) oder IVR-Codes (IVDR) gemäß der Verordnung (EU) 2017/2185 über die Codes für die Benennung der benannten Stellen zu verstehen.)

Risikoklasse IIb

[3] Artikel 2 Punkt 7 der MDR definiert „generische Produktgruppe“ als „eine Gruppe von Produkten mit gleichen oder ähnlichen Zweckbestimmungen oder mit technologischen Gemeinsamkeiten, die allgemein, also ohne Berücksichtigung spezifischer Merkmale klassifiziert werden können“.

Risikoklasse III

Die Tabelle können Sie hier als PDF herunterladen.

Fazit

Auswahl und Anwendung eines geeigneten Verfahrens für die Konformitätsbewertung von Medizinprodukten gehören nicht zu den leichtesten Aufgaben, die sich aus den Anforderungen der Medizinprodukteverordnung MDR ergeben. Wir empfehlen insbesondere wenig erfahrenen Herstellern von Medizinprodukten, die unterschiedlichen Möglichkeiten, Vor- und Nachteile im Detail zu erörtern, da es sich um eine wichtige Weichenstellung für die spätere Produktvermarktung handelt. Wir beraten gerne bei der praktischen Umsetzung.

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Hand eines Arztes mit modernem PC-Interface
everythingpossible / Fotolia
15.08.2023

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