Die Bedeutung von Elektromobilität für den Umbau der Energiewirtschaft und V2G als Gamechanger
VDE: In ihrer früheren Tätigkeit bei E.ON waren Sie als Finanzvorstand tätig. Darauf zielt auch meine nächste Frage ab. Wie groß schätzen Sie in Summe das wirtschaftliche Potenzial der Elektromobilität ein?
Marc Spieker: Ich persönlich sehe in der Elektromobilität einen Schlüsselfaktor für Deutschland als Volkswirtschaft, aber vor allem auch für den Umbau der Energiewirtschaft in Europa. Und da spreche ich jetzt einmal ganz bewusst als Kaufmann: Strom wird als Produkt an Großhandelsmärkten eingekauft. Und hier sehen wir extreme Preisausschläge. Allein im letzten Jahr gab es knapp 450 Stunden mit negativem Strompreis und mehr als 2000 Stunden mit Strompreisen teils deutlich über 100 Euro pro Megawattstunde. Das sind gewaltige Unterschiede.
Kein Automobilnutzer möchte sich tagtäglich mit Großhandelspreisen auseinandersetzen. Deswegen brauchen Sie einen starken Partner, der Ihnen dabei hilft, dieses enorme Potenzial für sich zu nutzen. Ganz egal, ob Sie elektrisch fahren oder einfach nur einen Stromvertrag brauchen. Egal, ob Sie Privatkunde sind oder ein Unternehmen, das seinen Fuhrpark elektrifizieren möchte. Und genau das macht das Thema E-Mobilität für uns als Energieunternehmen zu einem großen Zukunftsthema.
VDE: Die Energiewende steht genauso wie die Mobilitätswende im Spannungsfeld zwischen politischen Vorgaben, wirtschaftlicher Machbarkeit und gesellschaftlicher Akzeptanz. Wo hakt es derzeit am meisten beim Umstieg auf das Thema E Mobilität?
Marc Spieker: Generell wird ja gerne und viel gemeckert – aber bei aller Kritik sollten wir nicht vergessen, was Automobil- und Energiewirtschaft in Deutschland gemeinsam schon erreicht haben. Da ist viel Gutes passiert. Ich bin auch sehr optimistisch, wenn ich mir die aktuelle Dynamik bei den E-Auto-Zulassungen anschaue. Klar ist aber auch, da geht noch mehr. Und da legen Sie mit Ihrer Frage den Finger in die Wunde.
In Deutschland – aber auch europaweit, denn viele relevante Gesetzgebungen kommen aus Brüssel – gibt es eine Vielzahl an regulatorischen Anforderungen. Da werden Unternehmen, aber auch den Kunden teils unnötig Fesseln angelegt. Ein großes Hemmnis sehen wir beispielsweise beim bidirektionalen Laden. Gerade Vehicle-to-Grid ist aus unserer Sicht ein echter Gamechanger, weil es das Potenzial von Elektrofahrzeugen nochmals deutlich erweitert, Energie- und Mobilitätssektor miteinander zu verbinden. Jeder E-Auto-Nutzer könnte damit zu einem kleinen Energiewirtschaftsunternehmer werden.
Nehmen Sie hier die Netzentgelte. Netzentgelte zahlen Sie in dem Moment, in dem sie Strom laden. Auch auf zwischengespeicherten Strom, den sie gar nicht zum Fahren verwenden, sondern wieder ins Netz zurückspeisen. Wenn sie diesen Strom später für den eigenen Verbrauch nachladen, zahlen sie nochmal Netzentgelte. Das darf und sollte nicht so sein – zumindest dann nicht, wenn dabei keine zusätzlichen Belastungen für das Netz entstehen.
Die Bedeutung von Prüfinstitutionen und die Integration verschiedener Komponenten in das energiewirtschaftliche Ökosystem
VDE: Die Prüfung und Zertifizierung von Ladeinfrastruktur, Fahrzeugen und Komponenten für die Elektromobilität werden im VDE über das VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut (VDE PZI) umgesetzt. In der Vorbereitung auf dieses Interview bin ich auf das E.ON Testing Lab gestoßen. Was waren die Beweggründe, ein eigenes Testlabor aufzubauen?
Marc Spieker: Wir haben uns vor einigen Jahren dazu entschieden, ein eigenes Testing Lab aufzubauen. Unser Lab versteht sich aber nicht als Ersatz für klassische Prüfinstitutionen. Diese Prüfinstitutionen sind im Übrigen ein riesiger Standortvorteil für Deutschland. Denn sie schaffen Vertrauen und geben Kundinnen und Kunden Sicherheit, wenn es um Investitionsentscheidungen geht.
Unser Fokus liegt woanders: Wir konzentrieren uns auf die Integration verschiedener Komponenten in ein nahtlos funktionierendes, energiewirtschaftliches Ökosystem. Und das ist heute sehr häufig ein digitales Thema. Konkret: Wenn wir Kunden Lösungen anbieten, bei denen etwa die PV-Anlage, Heimspeicher und zunehmend auch die Autobatterie intelligent miteinander verbunden sind, dann muss diese digitale Vernetzung reibungslos funktionieren. Das klingt vielleicht einfach, ist in der Praxis aber sehr komplex. Technische Schnittstellen müssen bei neuen Software-Releases häufig durch die Hersteller angepasst werden. Und genau da erleben wir in der Realität immer wieder Brüche in der Nutzererfahrung.
In unserem Lab testen wir alle neuen Releases und Systemkombinationen immer wieder und unter realen Bedingungen. Unser Ziel ist ein nahtloses, idealerweise App-basiertes Erlebnis. Unsere Kunden sollen sich keine Gedanken mehr machen müssen, ob ihre Energielösungen zusammen funktionieren – das übernehmen wir.