NPC Ukrenergo
15.12.2025 TOP

Wie man das Übertragungsnetz unter Kriegsbedingungen am Laufen hält

Valerii Osadchuk, Leiter Kommunikation und internationale Zusammenarbeit bei NPC Ukrenergo, berichtet im Gespräch mit Frank Borchardt, Senior-Projektmanager Digitalisierung und Metering, VDE FNN, über die Digitalisierung des ukrainischen Stromnetzes, aktuelle Herausforderungen und strategische Entwicklungen. 

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Frank Borchardt
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Stabilität und Versorgungssicherheit des ukrainischen Stromnetzes

Frank Borchardt: Valerii, in Deutschland sind wir es gewohnt, dass elektrischer Strom rund um die Uhr beliebig zur Verfügung steht. Deutsche Netzbetreiber führen ihre Netze dafür mit einem hohen Aufwand und nach strengen Vorgaben, aber auch mit einem hohen Maß an Verlässlichkeit, was die Verfügbarkeit notwendiger Ressourcen und die Einbettung in ein funktionierendes, europäisches Gesamtsystem betrifft.

Sie befinden sich nun seit über einem Jahrzehnt im Krieg mit Russland und halten mit NPC Ukrenergo die Stromversorgung in der Ukraine aufrecht; unter Bedingungen fernab jeder Vorstellungskraft.

Auch wenn der 24. Februar 2022 offensichtlich den Wendepunkt darstellt, an dem Russland seine groß angelegte Invasion begann; gab es im Vorfeld dieses Datums Anzeichen dafür, dass „etwas Schreckliches“ passieren würde? Und wenn ja, haben Sie diese Anzeichen erkannt und wie haben Sie darauf reagiert, um sich darauf vorzubereiten?

Frank Borchardt: Valerii, in Deutschland sind wir es gewohnt, dass elektrischer Strom rund um die Uhr beliebig zur Verfügung steht. Deutsche Netzbetreiber führen ihre Netze dafür mit einem hohen Aufwand und nach strengen Vorgaben, aber auch mit einem hohen Maß an Verlässlichkeit, was die Verfügbarkeit notwendiger Ressourcen und die Einbettung in ein funktionierendes, europäisches Gesamtsystem betrifft.

Sie befinden sich nun seit über einem Jahrzehnt im Krieg mit Russland und halten mit NPC Ukrenergo die Stromversorgung in der Ukraine aufrecht; unter Bedingungen fernab jeder Vorstellungskraft.

Auch wenn der 24. Februar 2022 offensichtlich den Wendepunkt darstellt, an dem Russland seine groß angelegte Invasion begann; gab es im Vorfeld dieses Datums Anzeichen dafür, dass „etwas Schreckliches“ passieren würde? Und wenn ja, haben Sie diese Anzeichen erkannt und wie haben Sie darauf reagiert, um sich darauf vorzubereiten?

Valerii Osadchuk

In den Medien wurden mehrere mögliche Termine für den Beginn der russischen Invasion diskutiert, nachdem Gespräche über die Unvermeidbarkeit eines umfassenden Krieges schon einige Monate vor dem 24. Februar 2022 begannen.

Während dieser gesamten Zeit bereitete die Ukraine ihr Stromnetz weiter auf die Trennung von den Stromnetzen Russlands und Weißrusslands vor. Dieser Schritt war notwendig, um die Fähigkeit des integrierten Stromnetzes der Ukraine (IPS) im Inselbetrieb zu testen – eine wichtige Etappe vor der geplanten Integration in das kontinentaleuropäische Stromnetz von ENTSO-E.

Unterdessen beantragte Russland wiederholt, den Beginn dieser Tests aus technischen Gründen zu verschieben. Selbst als der endgültige Termin für die Trennung des IPS der Ukraine von den russischen und belarussischen Netzen – der 23. Februar 2022 – vereinbart worden war, fragte die russische Seite kurz vor Beginn dieses Prozesses die Vertreter von NPC Ukrenergo mehrmals, ob sie sich sicher seien, dass sie fortfahren wollten. Nur anderthalb Stunden nach der Trennung der letzten Verbindung zum russischen Stromnetz begann die groß angelegte Invasion.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die Trennung vom russischen und belarussischen Stromnetz zu Beginn des Krieges für die Stabilität des ukrainischen Stromnetzes von entscheidender Bedeutung war. Der Angreiferstaat verlor damit ein wichtiges Instrument zur Beeinflussung der Versorgungssicherheit der Ukraine. Die vorbereitenden Arbeiten der Spezialisten von Ukrenergo – zunächst um den Betrieb des IPS der Ukraine im Inselbetrieb zu ermöglichen und später, um die Synchronisation mit ENTSO-E zu erreichen – waren entscheidend für die Gewährleistung einer stabilen Stromversorgung in allen Regionen der Ukraine. Selbst in den Tagen, als russische Truppen nur wenige Kilometer von Kyjiw entfernt waren.

Vorhaltung von Betriebsmitteln für den Netz- und Versorgungswiederaufbau

Frank Borchardt: Mehr als offensichtlich ist die permanente Zerstörung der physischen Netzinfrastruktur, die die kritische Infrastruktur der Ukraine insgesamt lahmlegen soll. Welche Anlagen und Betriebsmittel sind für Sie die strategisch wichtigsten, um dagegen vorzugehen? Also welche Betriebsmittel sollte ein Netzbetreiber ständig im Lager halten, um im Ernstfall sofort reagieren zu können und das Netz wieder aufzubauen?

Frank Borchardt: Mehr als offensichtlich ist die permanente Zerstörung der physischen Netzinfrastruktur, die die kritische Infrastruktur der Ukraine insgesamt lahmlegen soll. Welche Anlagen und Betriebsmittel sind für Sie die strategisch wichtigsten, um dagegen vorzugehen? Also welche Betriebsmittel sollte ein Netzbetreiber ständig im Lager halten, um im Ernstfall sofort reagieren zu können und das Netz wieder aufzubauen?

Valerii Osadchuk

Zunächst einmal lenkte die Invasion Russlands in der Ukraine – einem der größten Staaten Europas – die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf ein Thema, das zuvor kaum diskutiert worden war: die Sicherstellung des Funktionierens des Stromnetzes unter Bedingungen umfassender Feindseligkeiten und gezielter Angriffe auf kritische zivile Infrastruktur.

Der erste massive Angriff auf die Anlagen des ukrainischen Übertragungsnetzes erfolgte am 11. September 2022. An diesem Tag wurden aufgrund russischer Raketenangriffe mehrere Mitarbeiter von NPC Ukrenergo an ihrem Arbeitsplatz getötet – Mitarbeiter von Umspannwerken, die lediglich ihre Arbeit verrichteten, um die Stromversorgung aufrechtzuerhalten. Nach diesem Angriff wurde klar, dass weitere Angriffe folgen würden und dringende Vorbereitungen erforderlich waren.

Ukrenergo begann umgehend mit der Stärkung der Widerstandsfähigkeit des ukrainischen Stromnetzes. Gemeinsam mit der Regierung identifizierte das Unternehmen wichtige Übertragungsnetzanlagen, deren Hochspannungsausrüstung vor russischen Raketen- und Drohnenangriffen geschützt werden musste. In kurzer Zeit errichtete Ukrenergo eigenständig einen Sofortschutz an allen Anlagen – Sandsäcke und Gabionen zum Schutz vor Kollateralschäden (Splitter) im Falle von Drohnenangriffen. Später begannen die Arbeiten für einen umfassenderen Schutz – massive Stahlbetonkonstruktionen, die Transformatoren vor direkten Treffern durch Drohnen und Raketensplittern schützen sollen. Diese Bemühungen dauern bis heute an.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass mehrere Faktoren entscheidend sind, um dem Energieterrorismus des Aggressorstaates wirksam entgegenzuwirken:

  • Aufrechterhaltung von Reserven an Hochspannungsanlagen, insbesondere Transformatoren, um eine Notfallwiederherstellung zu ermöglichen. Die Herstellung eines leistungsstarken Transformators dauert mehrere Monate bis über ein Jahr; solche Anlagen sind äußerst selten und auf dem Markt nicht ohne Weiteres erhältlich. Dank umfangreicher internationaler Finanz- und Geberhilfe gelang es Ukrenergo, die Stabilität des Stromnetzes in den ersten Jahren des umfassenden Krieges aufrechtzuerhalten, und die weitere Unterstützung ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung.
  • Physischer Schutz für wichtige Anlagen des Übertragungsnetzes. Unsere Partner sind besonders an den weitreichenden Erfahrungen von Ukrenergo interessiert mit innovativen Lösungen, wie beispielsweise der unterirdischen Verlegung wichtiger Komponenten von Umspannwerken, einschließlich Kontrollräumen.

Eine ausreichende Anzahl qualifizierter, eigener Reparaturfachkräfte. Im Laufe des Krieges haben die Teams von Ukrenergo einzigartiges Fachwissen entwickelt. So wurde beispielsweise im vergangenen Jahr in einem vom Feind beschädigten Umspannwerk der Austausch eines Transformators (einschließlich Lieferung, Installation und Anschluss) in nur 21 Tagen abgeschlossen. In anderen europäischen Ländern dauern ähnliche Arbeiten in der Regel 3–4 Monate. Ein großer Vorteil für Ukrenergo sind die eigenen Vollzeit-Reparaturteams, im Gegensatz zu vielen anderen Netzbetreibern weltweit, die stark auf Auftragnehmer angewiesen sind, die Aufträge jederzeit ablehnen können.

Reserven im Netz – Höherauslastung von Betriebsmitteln

Frank Borchardt: Netzbetreiber sind gewohnt, ihr Netz mit ausreichenden Reserven und Sicherheiten zu betreiben. Welche Erfahrungen haben Sie im Angesicht des Krieges gemacht, an welchen Stellen im Systembetrieb Reserven im Ernstfall verzichtbar sind? Also, welche Betriebsmittel können durchaus überlastet werden und an welchen Stellen ist diese Sicherheiten unter allen Umständen beizubehalten?

Frank Borchardt: Netzbetreiber sind gewohnt, ihr Netz mit ausreichenden Reserven und Sicherheiten zu betreiben. Welche Erfahrungen haben Sie im Angesicht des Krieges gemacht, an welchen Stellen im Systembetrieb Reserven im Ernstfall verzichtbar sind? Also, welche Betriebsmittel können durchaus überlastet werden und an welchen Stellen ist diese Sicherheiten unter allen Umständen beizubehalten?

Valerii Osadchuk

Das Hauptprinzip für einen Netzbetreiber während eines umfassenden Krieges muss darin bestehen, die Widerstandsfähigkeit des Stromnetzes gegenüber dem gesamten Spektrum von Bedrohungen sicherzustellen – von der physischen Zerstörung von Anlagen durch Raketenangriffe bis hin zu Cyberangriffen und von Menschen verursachten Unfällen mit komplexen Folgen.

Unter solchen Bedingungen können die Vorkriegsstandards für die Qualität der Stromversorgung gelockert oder vorübergehend ausgesetzt werden. Dies geschieht, um kritische Anlagen betriebsbereit zu halten, da die Reparatur oder der Austausch bestimmter Komponenten extrem lange dauern kann und schwerwiegendere Folgen haben kann als vorübergehende Verbrauchsbeschränkungen, wie z. B. Notfall- oder planmäßige Versorgungsunterbrechungen.

Auch die Belegschaft des Unternehmens arbeitet unter erheblich veränderten Bedingungen. Notfall-Wiederherstellungsarbeiten werden kontinuierlich, oft rund um die Uhr, auch an Feiertagen und Wochenenden, durchgeführt. Die Mitarbeiter erhalten eine zusätzliche Vergütung für Überstunden und für die Arbeit in Gefahrengebieten – wie z. B. in der Nähe der russischen Grenze und in Frontgebieten.

Priorisierung der Versorgung

Frank Borchardt: Es die Aufgabe eines Netzbetreibers, allen Kunden jederzeit ausreichend Energie zur Verfügung zu stellen. Zurzeit hat vermutlich die Versorgung anderer kritischer Infrastrukturen, sowohl zivil als auch militärisch, einen Vorrang vor anderen Kunden; eine Auswahl, auf die deutsche Netzbetreiber nicht vorbereitet wären. Wie lösen sie dieses Problem? Welche Empfehlung können Sie hier unseren deutschen Netzbetreiber geben?

Frank Borchardt: Es die Aufgabe eines Netzbetreibers, allen Kunden jederzeit ausreichend Energie zur Verfügung zu stellen. Zurzeit hat vermutlich die Versorgung anderer kritischer Infrastrukturen, sowohl zivil als auch militärisch, einen Vorrang vor anderen Kunden; eine Auswahl, auf die deutsche Netzbetreiber nicht vorbereitet wären. Wie lösen sie dieses Problem? Welche Empfehlung können Sie hier unseren deutschen Netzbetreiber geben?

Valerii Osadchuk

Aufgrund der Erfahrungen der Ukraine ist es unerlässlich, im Voraus einen Rechtsrahmen für alle möglichen Szenarien des Betriebs des Stromnetzes unter Bedingungen großflächiger Feindseligkeiten oder hybrider Kriegsführung mit Angriffen auf die Energieinfrastruktur zu schaffen. Gesetze und Vorschriften sollten ein möglichst breites Spektrum an Eventualitäten vorsehen, um eine schnelle und koordinierte Reaktion zu gewährleisten.

Ebenso wichtig ist die Einrichtung eines hochwertigen und zeitgemäßen Kommunikationssystems mit den Verbrauchern. Dieses System sollte vor allem der Bevölkerung klare Informationen über die Gründe für Verbrauchsbeschränkungen und deren voraussichtliche Dauer liefern und zu Energiesparmaßnahmen oder zur Verlagerung des Verbrauchs auf Zeiten mit geringerer Netzauslastung anregen. Diese Aufgaben sind komplex und erfordern eine enge Abstimmung zwischen der Unternehmensleitung, den Dispatching- und Rechtsabteilungen sowie den PR-Spezialisten.

Schutz im Cyber-Raum

Frank Borchardt: In Zeiten hybrider Kriegsführung sind Cyberangriffe sicherlich das zweite Standbein eines Aggressors. Die Ukraine war schon sehr früh Ziel von russischen Cyberangriffen. Wie hat sich seitdem die Cyberabwehr ihres Unternehmens geändert? Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, welche Schutzmechanismen haben Sie aufgebaut, um dieser Gefahr zu begegnen?

Frank Borchardt: In Zeiten hybrider Kriegsführung sind Cyberangriffe sicherlich das zweite Standbein eines Aggressors. Die Ukraine war schon sehr früh Ziel von russischen Cyberangriffen. Wie hat sich seitdem die Cyberabwehr ihres Unternehmens geändert? Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, welche Schutzmechanismen haben Sie aufgebaut, um dieser Gefahr zu begegnen?

Valerii Osadchuk

Cybersicherheit ist genauso wichtig wie der physische Schutz von Anlagen – und in diesem Bereich kann Ukrenergo bedeutende Erfolge vorweisen. Trotz zahlreicher Versuche während des Krieges und sogar schon davor ist es Angreifern nie gelungen, das ukrainische Stromnetz durch Cyberangriffe zu beschädigen. Diese Tatsache zeugt von der außergewöhnlichen Kompetenz der IT-Spezialisten von Ukrenergo. Insbesondere in diesem Sommer belegten Vertreter von Ukrenergo alle drei ersten Plätze im nationalen Wettbewerb zur Bekämpfung von Cyberbedrohungen unter Unternehmen des Energiesektors.

Seit Beginn der Invasion versuchen russische Hacker, in die IT-Systeme von Ukrenergo einzudringen. In den ersten Kriegstagen verzehnfachte sich die Zahl solcher Versuche. Allein im Februar 2022 wehrten unsere Spezialisten 50 DDoS-Angriffe ab – im Vergleich zu nur fünf in den beiden Vorjahren. Im Jahr 2022 gab es 1,8 Millionen Versuche, in das IT-Netzwerk einzudringen (in die Arbeit der IT-Systeme einzugreifen), doppelt so viele wie 2021 und fünfmal mehr als 2020. Sogar Mitarbeiter der russischen Bundesbehörden und von Roskosmos versuchten vergeblich, unsere Systeme zu scannen.

Im Hinblick auf die Entwicklung der Cybersicherheit hat Ukrenergo fortschrittliche Lösungen für eine ordnungsgemäße und gründliche Analyse der Netzwerkinfrastruktur implementiert. Außerdem modernisieren wir aktiv die Leitstellensysteme. Ukrenergo hat ein System zur Erfassung von Telemetriedaten über Backup-Kanäle und von dezentralen Erzeugungsanlagen eingeführt. Wir haben ein Backup-Telefonieprojekt für alle unsere Anlagen abgeschlossen, das auch bei Ausfällen eine autonome Kommunikation gewährleistet. Außerdem haben wir Lösungen implementiert, die einen 12-stündigen unterbrechungsfreien Betrieb der IT-Ausrüstung in kritischen Anlagen garantieren. Darüber hinaus hat Ukrenergo die Infrastruktur für eine zentralisierte Strommarktplattform aufgebaut, wodurch die Softwareleistung erheblich beschleunigt wurde. Die Experten von Ukrenergo haben ihre Erfahrungen regelmäßig auf ENTSO-E-Treffen und renommierten internationalen Konferenzen ausgetauscht und damit die Führungsrolle der Ukraine im Bereich der Cybersicherheit im Energiesektor gestärkt.

Personal: Umgang mit Gefahren

Frank Borchardt: Ihre Mitarbeitenden sind vermutlich das wachsamste und am besten geschulte Personal eines Netzbetreibers weltweit. Dennoch, wie bereiten Sie Ihre Mitarbeitenden auf den Umgang mit den Gefahren ihres Jobs vor? Sowohl auf die tatsächlichen Gefahren für Leib und Leben bei der Montage und Wiederherstellung von Anlagen draußen im Netz, aber auch für die Bedrohungen, denen vermutlich jeder einzelne Mitarbeitende im Cyberraum ausgesetzt ist?

Frank Borchardt: Ihre Mitarbeitenden sind vermutlich das wachsamste und am besten geschulte Personal eines Netzbetreibers weltweit. Dennoch, wie bereiten Sie Ihre Mitarbeitenden auf den Umgang mit den Gefahren ihres Jobs vor? Sowohl auf die tatsächlichen Gefahren für Leib und Leben bei der Montage und Wiederherstellung von Anlagen draußen im Netz, aber auch für die Bedrohungen, denen vermutlich jeder einzelne Mitarbeitende im Cyberraum ausgesetzt ist?

Valerii Osadchuk

Die Sicherheit unserer Mitarbeiter hat für das Unternehmen höchste Priorität. Leider sind viele Mitarbeiter unter den derzeitigen Bedingungen gezwungen, praktisch „unter Beschuss“ von feindlichen Drohnen, Raketen und sogar (konventioneller) Artillerie und Raketenartillerie zu arbeiten. Dies gilt für Teams vor Ort, Mitarbeiter in Umspannwerken und sogar für Mitarbeiter in der Zentrale, die wiederholt Ziel russischer Angriffsdrohnen geworden ist.

Um Reparaturarbeiten in Frontgebieten durchführen zu können, mussten wir unsere Mitarbeiter mit kugelsicheren Westen und Helmen ausstatten. Wahrscheinlich gibt es weltweit keinen anderen Ort, an dem Arbeiten in großer Höhe an Übertragungsleitungen unter solchen Bedingungen durchgeführt werden.

Wir führen auch regelmäßig Briefings zu den Sicherheitsvorschriften für Minen durch. Dies ist besonders wichtig in Frontgebieten, Regionen an der Grenze zu Russland und kürzlich befreiten Gebieten. Leider gab es bereits Todesopfer. Letztes Jahr wurde in der Region Charkiw bei der Inspektion einer der Leitungen der Vorarbeiter eines Reparaturteams durch eine Minenexplosion verletzt und verlor beide Beine. Das Unternehmen hat alles getan, um ihn zu unterstützen, einschließlich der Anschaffung hochtechnologischer, elektronischer Prothesen im Wert von mehr als 3 Millionen UAH (ca. 61.000 Euro).

Ukrenergo entwickelt sein Informationssicherheitsmanagement systematisch in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Anforderungen und internationalen Standards. Das Unternehmen hat die Konformität seines Informationssicherheitsmanagements durch eine unabhängige Bewertung durch eine akkreditierte internationale Zertifizierungsstelle bestätigt.

Wir investieren auch in die Sensibilisierung unserer Mitarbeiter: Alle Mitarbeiter absolvieren regelmäßig Schulungen zum Thema Informationssicherheit, die entsprechend den gesetzlichen Änderungen und Empfehlungen der Behörden kontinuierlich aktualisiert werden. Die umgehende Information über neue Bedrohungen und praktische Anleitungen für einen sicheren Betrieb sind ein wesentlicher Bestandteil dieses Programms.

Andere Bereiche der Resilienz

Frank Borchardt: Gibt es über Resilienz als Schutz der physischen Infrastruktur, der Betriebsmittel und über die Resilienz gegen Cyberangriffe hinaus Bereiche der Resilienz, die für sie wichtig sind und über die wir hier noch überhaupt nicht gesprochen haben?

Frank Borchardt: Gibt es über Resilienz als Schutz der physischen Infrastruktur, der Betriebsmittel und über die Resilienz gegen Cyberangriffe hinaus Bereiche der Resilienz, die für sie wichtig sind und über die wir hier noch überhaupt nicht gesprochen haben?

Valerii Osadchuk

Im April 2024 startete NPC Ukrenergo das Projekt „Pulse“ – eine Initiative mit dem Ziel, Mitarbeitern die Grundlagen der taktischen Medizin zu vermitteln. In Kriegszeiten sind Erste-Hilfe-Kenntnisse für jeden von entscheidender Bedeutung.

Im Rahmen des Projekts wurden zehn Ausbilder aus den Reihen der Mitarbeiter des Unternehmens geschult, die nun erfolgreich ihre Kollegen ausbilden. Bis heute haben mehr als 3.600 Mitarbeiter – rund 50 % unserer Belegschaft – eine Erste-Hilfe-Ausbildung absolviert.

Es ist erwähnenswert, dass NPC Ukrenergo im November 2025 die HR PRO AWARDS 2025, den allukrainischen Jahrespreis für CEOs und HR-Fachleute, in der Kategorie „Soziales und Gesundheit” gewonnen hat, indem es die Ergebnisse des Pulse-Projekts vorstellte. Mit diesem Preis werden seit fünf Jahren die besten Initiativen im Personalmanagement und in der Führung in der Ukraine ausgezeichnet.

Darüber hinaus führt Ukrenergo erfolgreich ein Projekt zur psychologischen Unterstützung von Mitarbeitern durch, die diese benötigen. Jeder Mitarbeiter kann sich vertraulich an einen Spezialisten wenden, um eine einmalige professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen oder an einem Rehabilitationsprogramm teilzunehmen. Wir danken der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung für die finanzielle Unterstützung dieser Initiative.

Botschaft an Deutschland

Frank Borchardt: Mit Ihren Erfahrungen, dass ukrainische Stromnetz in der Praxis gegen den Krieg zu härten; in welchen Bereichen müssen die deutschen Stromnetzbetreiber schnell handeln, weil die die Vorbereitungen viel Zeit beanspruchen werden: Netztechnik, Netzbetrieb oder Digitalisierung?

Frank Borchardt: Mit Ihren Erfahrungen, dass ukrainische Stromnetz in der Praxis gegen den Krieg zu härten; in welchen Bereichen müssen die deutschen Stromnetzbetreiber schnell handeln, weil die die Vorbereitungen viel Zeit beanspruchen werden: Netztechnik, Netzbetrieb oder Digitalisierung?

Valerii Osadchuk

Um ihre eigene Energiesicherheit zu stärken, sollten unsere Partner – darunter auch Deutschland – die Maßnahmen berücksichtigen, die die Ukraine in den letzten Jahren bereits umgesetzt hat:

  • Nutzen sie die Erfahrungen der Ukraine bei der Bekämpfung von Energieterrorismus. Das einzigartige Fachwissen ukrainischer Energieingenieure – in den Bereichen Betriebssteuerung, Notfallwiederherstellung sowie Technik und Cybersicherheit – unter extremen Bedingungen sollte in die Praxis aller europäischen Netzbetreiber einfließen.
  • Einführung verbindlicher Standards und Verfahren in ganz Europa zur Verbesserung der Energiesicherheit unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Ukraine.
  • Für Deutschland gilt es, wie für andere europäische Länder auch, Notreserven an kritischen Betriebsmitteln zu schaffen und eine angemessene Luftabwehr für Energieanlagen sicherzustellen. Es lohnt sich, schon heute damit zu beginnen, die weltweit einzigartigen Erfahrungen der Ukraine zu übernehmen – beispielsweise den Bau von Schutzräumen gegen Drohnen für wichtige Anlagen des Übertragungsnetzes.
  • Diversifizierung der Stromerzeugung im Voraus und Entwicklung eines dezentralen Erzeugungsmodells, um die Energieunabhängigkeit der Regionen zu gewährleisten. Dieser Ansatz könnte die Stromversorgungssysteme weitaus widerstandsfähiger gegen jede Art von Bedrohung machen, einschließlich groß angelegter Luftangriffe auf Kraftwerke und Übertragungsnetze.

Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort und international

Frank Borchardt: Schutz und Betrieb der Stromnetze ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Vielen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Netzbetreibern, Behörden und internationalen Partnern und welche Faktoren sind entscheidend, damit diese auch in Krisen funktioniert?

Frank Borchardt: Schutz und Betrieb der Stromnetze ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Vielen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Netzbetreibern, Behörden und internationalen Partnern und welche Faktoren sind entscheidend, damit diese auch in Krisen funktioniert?

Valerii Osadchuk

Innerhalb der Ukraine erfolgt die Koordinierung der Maßnahmen verschiedener Behörden und Stellen zur Bekämpfung von Bedrohungen im Energiesektor nun auf höchster Ebene. Diese Arbeit wird vom Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine und der Krisenabwehr-Energiezentrale unter dem Ministerkabinett geleitet, unter Beteiligung der ukrainischen Streitkräfte, von Energieexperten und lokalen Behörden. Alle im Land verfolgen dasselbe Ziel: die Stromversorgung in jedem ukrainischen Haushalt aufrechtzuerhalten.

Was die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern angeht, verdient Deutschland besondere Erwähnung. Dank der rechtzeitigen Unterstützung der deutschen Regierung hat Ukrenergo seit Beginn der groß angelegten Invasion rund 323 Millionen Euro für die Wiederherstellung und Stärkung des ukrainischen Stromnetzes erhalten. Über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) der deutschen Regierung erhielten wir Zuschüsse und gezielte Darlehen zur Verstärkung des physischen Schutzes von Umspannwerken und zum Kauf von Ausrüstung und Materialien für Notfall-Wiederherstellungsarbeiten. Deutschland finanzierte auch die Produktion wichtiger Komponenten des Stromnetzes – Transformatoren und Shunt-Reaktoren.

Darüber hinaus ist die deutsche Regierung mit insgesamt rund 400 Millionen Euro der größte Geldgeber des Ukraine Energy Support Fund (UESF), der vom Sekretariat der Energiegemeinschaft verwaltet wird.

Wir sind allen zutiefst dankbar, die uns dabei helfen, den beispiellos heftigen Angriffen des Feindes standzuhalten. Die Finanzierung von Verträgen für die Herstellung von Hochspannungsanlagen, die Lieferung von einsatzbereiten Ersatzteilen und die Bereitstellung von Spendengeräten aus stillgelegten Anlagen im Ausland – all das sind Prozesse, die wir durchlaufen haben und weiterhin bewältigen. Wir hoffen, dass diese Unterstützung weitergeht. In diesem Winter könnte sie wichtiger denn je sein.

Frank Borchardt: Was wünschen Sie sich von europäischen Partnern wie VDE FNN; wo kann Zusammenarbeit beim Aufbau resilienter Stromnetze am meisten bewirken?

Frank Borchardt: Was wünschen Sie sich von europäischen Partnern wie VDE FNN; wo kann Zusammenarbeit beim Aufbau resilienter Stromnetze am meisten bewirken?

Valerii Osadchuk

Studieren Sie die Erfahrungen der Ukraine bei der Gewährleistung der Widerstandsfähigkeit einzelner Anlagen und des gesamten Stromnetzes. Angesichts der langfristigen Relevanz der militärischen Bedrohung durch Russland wird dieses Wissen niemals überflüssig sein.

Investieren Sie in den ukrainischen Energiesektor. In den kommenden Jahren wird es in unserem Land eine stabile Nachfrage nach Strom geben, und für umfangreiche Wiederaufbauarbeiten wird eine Stromversorgung erforderlich sein. Darüber hinaus haben die ukrainischen Behörden die Genehmigungsverfahren für den Bau und den Anschluss von Kraftwerken so weit wie möglich vereinfacht.

Von der Ukraine lernen

Frank Borchardt: Erlauben sie mir zum Abschluss eine vielleicht etwas persönlichere Frage. Welche Maßnahme zur Vorbereitung, welche Entscheidung hätten Sie in Ihrem Arbeitsumfeld im Rückblick anders getroffen, um im Nachgang besser auf das vorbereitet gewesen zu sein, was dann geschehen ist?

Frank Borchardt: Erlauben sie mir zum Abschluss eine vielleicht etwas persönlichere Frage. Welche Maßnahme zur Vorbereitung, welche Entscheidung hätten Sie in Ihrem Arbeitsumfeld im Rückblick anders getroffen, um im Nachgang besser auf das vorbereitet gewesen zu sein, was dann geschehen ist?

Valerii Osadchuk

Es ist bedauerlich, dass wir uns nicht schon früher vom russischen Stromnetz abgekoppelt und der größeren europäischen Energiefamilie angeschlossen haben. Die Integration des IPS der Ukraine in das ENTSO-E-Netzwerk – in seiner Endphase – war jedoch weltweit rekordverdächtig schnell. Wofür andere Länder Jahre gebraucht haben, haben wir in nur wenigen Monaten geschafft. Wir sind unseren Kollegen für ihre Unterstützung und ihr Verständnis zutiefst dankbar.

Der zweite wichtige Punkt ist der schrittweise Übergang zur dezentralen Energieerzeugung. Hätten wir während der Modernisierung unseres Stromnetzes und der Energiewende bestimmte Projekte früher umgesetzt, hätte dies unsere Widerstandsfähigkeit erheblich gestärkt und uns weitaus weniger anfällig für feindliche Angriffe gemacht – Angriffe, die derzeit großen Schaden an großen Kraftwerken und Übertragungsnetzen anrichten.

Valerii, vielen Dank! Slava Ukraini!