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VDE FNN
16.10.2023

Steuerung von Flexibilitäten

VDE FNN arbeitet seit Jahren aktiv an einem digitalen, flexiblen und weiterhin zuverlässigen Energiesystem. Um auch in Zukunft Erzeugung und Verbrauch stets im Einklang zu halten, wird die Steuerung von sogenannten „Flexibilitäten“ bzw. steuerbaren Verbrauchseinrichtungen, wie Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen oder auch Speicher mit Netzkoppelung, ein elementarer Bestandteil sein.

Die Umsetzung der Steuerung über intelligente Messsysteme ist vielschichtig. Die notwendige Steuerungs-Hardware muss zur Verfügung stehen, entsprechende Prozesse beim Verteilnetzbetreiber, Messstellenbetreiber und weiteren Marktrollen müssen Ende-zu-Ende gedacht werden. Hierzu sind beispielsweise interoperable Schnittstellen essenziell. Außerdem muss es Konzepte geben, welche Marktrolle wann und wie steuerungsberechtigt ist. Grundlage für die technische Umsetzung ist selbstverständlich ein verlässlicher regulatorischer Rahmen, wobei in diesem Zusammenhang die Ausgestaltung von § 14a EnWG durch die Bundesnetzagentur von entscheidender Bedeutung ist.

An all diesen Herausforderungen erarbeiten diverse Projektgruppen im VDE FNN Lösungsvorschläge, um das gemeinsame Zielbild des Energiesystems 2030 Realität werden zu lassen.

Notwendigkeit von Steuerungsmaßnahmen in der Niederspannung

Um dem Klimawandel entgegenzuwirken, haben sich diverse Länder seit Ende des 20. Jahrhunderts in diversen Abkommen (z.B. dem Kyoto-Protocol oder dem Pariser Klimaabkommen) dazu entschlossen, ihre Treibhausgasemissionen massiv zu reduzieren. Als Folge dessen wurde in Deutschland die Energiewende beschlossen, mit dem Ziel, langfristig zu großen Teilen auf fossile Energieträger zu verzichten. Bspw. erfolgt die Stromerzeugung zukünftig hauptsächlich aus Erneuerbaren Energien, wie Solar- oder Windenergie, anstelle von Kohle- oder Atomkraft. Dies hat Auswirkungen auf die Stromerzeugung.

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Laura Woryna
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Neben den Veränderungen auf der Stromerzeugungs-Seite, gehen mit der Energiewende aber auch Veränderungen auf der Verbraucherseite einher. Der Verkehrssektor und Wärmesektor sollen zukünftig ebenfalls „dekarbonisiert“, also CO2-frei, werden. Anstelle von Diesel- oder Benzinmotoren sollen Elektromotoren im Verkehr eingesetzt werden und auch die Wärmeversorgung wird zukünftig hauptsächlich über Strom (z.B. Wärmepumpen) erfolgen. Das bedeutet, dass Strom andere Energieträger substituiert. Dieser Wandel wird auch von der Politik fokussiert und entsprechend gefördert. Bei Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen handelt es sich um steuerbare Verbrauchseinrichtungen, da sie ihren Leistungsbezug zeitlich flexibel verschieben können. Sie werden daher auch Flexibilitäten genannt. Beispielsweise können Elektrofahrzeuge in der Nacht laden und sind morgens dennoch vollständig geladen.

Diese Veränderungen auf Verbraucherseite führen somit zu einem sprunghaft steigenden Leistungsbedarf. Dem gegenüber steht der mögliche physische Netzausbau, der nicht so sprunghaft erfolgen kann. Es wird vermutlich der Tag kommen, an dem der zusätzliche Leistungsbedarf die mögliche Anschlussleistung der Verteilnetze übersteigen wird.

Durch die intelligente Steuerung von Flexibilitäten, z.B. in lastschwache Zeiten und somit der Verringerung des Gleichzeitigkeitsfaktors, kann die Anschlussleistung des Verteilnetzes erhöht und somit in Summe mehr steuerbare Verbrauchseinrichtungen angeschlossen werden.

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Der regulatorische Rahmen muss gegeben sein

Die Grundlage für die Steuerung ist der Rollout intelligenter Messsysteme. Hierfür gab es mit dem „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW)“ 2023 einen neuen klaren Rechtsrahmen.

Die Steuerung von Flexibilitäten muss klaren Regeln folgen. Nachdem der erste Versuch diesen Rechtsrahmen zu schaffen, Anfang 2021 scheiterte, vergingen fast 2 Jahre, seit die Bundesnetzagentur die Ausgestaltung des Paragrafen 14a EnWG im Rahmen eines Festlegungsverfahrens vornimmt. Die Festlegung soll nach derzeitigem Planungsstand zum 1.1.2024 in Kraft treten. Ebenfalls von Bedeutung ist der sogenannte Universalbestellprozess, der die Bestellung von Steuerungshandlungen über Marktkommunikation festlegt.

VDE FNN hat den regulatorischen Prozess mit seiner technischen Expertise begleitet. Entsprechende Positionspapiere finden Sie hier:

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Mindestanforderungen an für ein modulares, interoperables, herstellerunabhängiges und sicheres Messsystem

Grundvoraussetzung für eine funktionierende Steuerung von Flexibilitäten über intelligente Messsysteme ist die Technik. Basiszähler, Smart Meter Gateway und Steuerbox müssen modular aufeinander aufbauen und herstellerübergreifend, d.h. interoperabel, einsetzbar sein. VDE FNN erarbeitet u.a. Lastenhefte für den Basiszähler, das Smart-Meter-Gateway und die Steuerbox. Auf Grundlage dieser Lastenhefte entwickeln Hersteller ihre Geräte.


Steuerungshandlungen können unterschiedlich motiviert sein

Steuerungshandlungen können grundsätzlich in marktorientiert und netzorientiert unterschieden werden. Marktliche Flexibilität erfolgt durch Lieferanten auf Basis von Verträgen mit Endkunden, meist basierend auf Preisanreizen und zur Optimierung der eigenen Anlage. Netzorientierte Steuerung hingegen wird vom Verteilnetzbetreiber initiiert, um die Netzstabilität aufrechtzuerhalten, wonach er nach § 11 des Energiewirtschaftsgesetzes verpflichtet ist.

Die netzorientierte Steuerung, auch als kurativ bezeichnet, dient als Notfallinstrument („Ultima Ratio“) des Verteilnetzbetreibers, um die sichere Netzführung weiterhin zu gewährleisten. In diesem Fall müssen steuerbare Verbrauchseinrichtungen ihren Leistungsbezug für einen gewissen Zeitraum einschränken. Die Niederspannungsnetze werden durch zahlreiche neue Verbrauchseinrichtungen, u.a. Wärmepumpen und Ladeeinrichtungen für Elektromobile, deutlich höher ausgelastet und können im Fall eines hohen Strombezugs („Leistungsspitzen“) über ihre ausgelegte Kapazität hinaus belastet werden. Netzausbaumaßnahmen nehmen zum Teil sehr viel Zeit in Anspruch, sodass durch eine zeitlich begrenzte, gezielte Steuerung die Leistungsspitzen gedämpft und somit die temporäre Überlastung der noch nicht ausgebauten Niederspannungsnetze vermieden werden kann.

Der regulatorische Rahmen hierzu wird derzeit durch die BNetzA ausgestaltet („§14a-Debatte“). Stand Oktober 2023 wird die finale Festlegung der BNetzA im November 2023 erwartet und soll zum 1.1.2024 in Kraft treten.

Kupfer mit Köpfchen – Intelligenz nutzen

Neben dem kurativen Noteingriff des Verteilnetzbetreibers im Fall von akuten Engpässen im Niederspannungsnetz nach § 14a EnWG arbeitet VDE FNN bereits seit 2013 an Konzepten, die eine optimale Auslastung des vorhandenen Stromnetzes durch präventive, d.h. vorausschauende, Steuerungsmaßnahmen forcieren. Ziel ist, basierend auf prognostizierten Netzengpässen mit Hilfe des Einsatzes von bspw. organisatorische Instrumente, das Entstehen von Engpässen zu vermeiden. Dadurch kann der für Endkunden verpflichtende kurative Eingriff des Netzbetreibers vermieden werden. Als zentraler Bestandteil des vorausschauenden Steuerns wurde in den Gremien des VDE FNN die sogenannte Koordinierungsfunktion (KOF) entwickelt.

Langfristig ist VDE FNN überzeugt, dass durch das Nutzen von Steuerungsmöglichkeiten, ein volkswirtschaftlich optimierter Netzausbau erreicht und damit der derzeit angestrebte Ausbau des Stromnetzes zur unwirtschaftlichen und technisch quasi unmöglichen „Kupferplatte“ vermieden werden kann. Dies bedeutet nicht, dass Netzausbau grundsätzlich vermieden oder verhindert werden soll, sondern sich Netzausbau und Intelligenz ergänzen.

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VDE FNN Gesamtkonzept ermöglicht präventives und kuratives Steuern

Anfang Oktober 2022 hat VDE FNN hierfür den FNN Impuls „Gesamtkonzept zur Steuerung mit intelligenten Messsystemen“ veröffentlicht. Dieses zeigt auf, wie die Steuerung von mehreren Millionen Flexibilitäten in Zukunft über intelligente Messsysteme umgesetzt werden kann. Das Zielbild ist hierbei die Steuerung am digitalen Netzanschlusspunkt, keine Steuerung von Einzelanlagen. Eine Steuerung ermöglicht, das Netz effizient auszulasten, Erzeugung und Verbrauch aufeinander abzustimmen sowie Speichermöglichkeiten zu integrieren. Die Koordinierungsfunktion als zentraler Bestandteil soll in dem Konzept präventiv dafür sorgen, dass das Stromnetz nicht durch unkoordinierte Steuerungshandlungen von Lieferanten überlastet wird.

Die regulatorischen Entwicklungen sehen derzeit eine Koordination beim Verteilnetzbetreiber nicht vor. Stattdessen soll der Markt frei agieren und der Netzbetreiber kann im Fall einer detektierten Netzüberlastung kurativ eingreifen. Steuerungsbefehle des Netzbetreibers sind hierbei in einer FNN Steuerbox immer höher priorisiert.

VDE FNN überarbeitet derzeit das Gesamtkonzept und prüft Lösungen, präventive Instrumente dennoch perspektivisch zu realisieren.

Gesamtarchitektur für die Steuerung über intelligente Messsysteme

Für die zielgerichtete Umsetzung der Steuerung von Flexibilitäten hat VDE FNN eine Gesamtarchitektur entwickelt, auf dem die Aktivitäten der Projektgruppen aufbauen.

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Aktuelle Arbeit des Lenkungskreises „Metering und Digitalisierung“

Einen Einblick in die derzeitigen Ziele und Arbeitsprogramme einzelner Projektgruppen des Lenkungskreises „Metering und Digitalisierung“, der derzeit maßgeblich die Aktivitäten rund um die Steuerung in der Niederspannung im VDE FNN koordiniert, geben die veröffentlichten Projektsteckbriefe.

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